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BGH, Beschl. v. 15.02.2017 – 4 StR 375/16: Nachstellung mit Todesfolge

Leitsatz: Führt das Opfer einer Nachstellung den tödlichen Erfolg im Sinne des § 238 Abs. 3 StGB durch ein selbstschädigendes Verhalten (Suizid) herbei, ist der tatbestands­spezifische Zusammenhang zwischen Grunddelikt und tödlichem Erfolg bereits dann zu bejahen, wenn das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen ist und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungs­leitend war.

Sachverhalt:

Der Angeklagte A und das spätere Tatopfer B nahmen 2014 eine Beziehung auf. Die zunächst glückliche B störte sich im weiteren Verlauf der Beziehung am übermäßigen Alkoholkonsum des A und seinem zunehmend kontrollierenden, eifersüchtigen Verhalten ihr gegenüber. Nachdem sie ihn in einem Telefonat versehentlich mit dem Vornamen ihres früheren Freundes ansprach, warf A ihr Untreue vor und beendete die Beziehung umgehend. Daraufhin versandte A bis März 2015 zahllose Textnachrichten mit hasserfüllten Beleidigungen und Bedrohungen an B, verfolgte sie, ihre Eltern und Freunde mit Telefonanrufen sowie Sachbeschädigungen, lauerte ihr auf und versuchte ferner, B bei ihrem Arbeitgeber durch erfundene Mitteilungengen in ein ungünstiges Licht zu rücken.

Als Folge dieser Handlungen war B verängstigt, verzweifelt und nicht mehr arbeits­fähig. Es entwickelte sich bei ihr eine depressive Störung. Als ihr die an ihren Arbeitgeber gerichteten, herabsetzenden und teilweise obszönen Nachrichten des Angeklagten über sie bekannt wurden, machte sie in der Wohnung ihrer Eltern Anstalten zu einem Selbsttötungs­versuch. Daraufhin wurde sie in der Psychiatrie mit der Diagnose einer schweren Depression behandelt. Ohne durchgreifende Besserung ihres Zustandes wurde sie im April 2015 wieder entlassen, weil B eine stationäre Behandlung verweigerte. Auch weitere Behandlungs­versuche brachten keine Besserung. B litt weiterhin unter häufigen Panikattacken und starken Angstzuständen. An einem Nachmittag im November 2015 fanden B’s Eltern B im Keller ihres Hauses vor, wo diese sich erhängt hatte.

A wurde wegen Nachstellung mit Todesfolge im Sinne des § 238 Abs. 3 StGB verurteilt. Der BGH schließt sich dieser Auffassung an.

Aus den Gründen:

Der Tatbestand der Nachstellung mit Todesfolge gemäß § 238 Abs. 3 StGB setzt als sog. erfolgsqualifiziertes Delikt voraus, dass „durch die Tat“ der Tod des Opfers (oder von Angehörigen oder anderen, ihm nahestehenden Personen) verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fallen muss (§ 18 StGB). Zwischen der mit der Verwirklichung des Grundtatbestandes verbundenen Gefahr und dem Eintritt der qualifizierenden Todesfolge muss ein spezifischer Ursachenzusammenhang bestehen.

„Im Fall des § 238 Abs. 3 StGB ist der spezifische Ursachenzusammenhang gegeben, wenn der Tod des Nachstellungs­opfers unmittelbare Folge der durch die Nachstellungen verursachten schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebens­gestaltung ist. Gerade die der Nachstellung innewohnende spezifische Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben.“ (Rn. 15)

Fraglich war, ob der Zurechnungs­zusammenhang aufgrund des selbstschädigenden Handelns des Opfers, namentlich seiner Weigerung, sich (weiterhin) stationär psychiatrisch behandeln zu lassen und dem Suizid etwa acht Monate nach Beendigung der Nachstellungs­handlungen unter­brochen wurde. Dies verneint der BGH.

Mit Blick auf die Deliktsstruktur des § 238 StGB und den Schutz­zweck der Vorschrift ist „der tatbestands­spezifische Zusammenhang bereits dann zu bejahen, wenn das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen ist und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungs­leitend war. Liegen diese Voraussetzungen vor, steht die Herbeiführung des tödlichen Erfolgs durch das Tatopfer selbst der Annahme eines die Erfolgs­qualifikation des § 238 Abs. 3 StGB begründenden tat­spezifischen Gefahrzusammenhangs nicht entgegen.“ (Rn. 17)

 „Mag die Selbsttötung des Opfers die Zurechnung des Todeserfolges nach dem Grundsatz eigen­verantwortlichen Handelns bei anderen erfolgsqualifizierten Delikten unter Berücksichtigung des jeweiligen Schutz­zwecks im Einzelfall ausschließen, so gilt dies im Fall des § 238 Abs. 3 StGB(…) nicht. Vielmehr stellt sich der durch den selbstschädigenden Akt des Suizids herbeigeführte Tod nur als (letzte) Steigerung der tiefgreifenden Beeinträchtigung der Lebens­führung des Opfers im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB dar (…). Dabei hatte der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift nicht nur den Fall vor Augen, in dem das Opfer etwa auf der Flucht vor dem nachstellenden Täter zu Tode kommt, sondern auch den, bei dem das Opfer vom Täter in den Selbstmord getrieben wird. Da § 238 Abs. 1 StGB so gefasst ist, dass dem Täter das Opfer­verhalten als unfreiwillig im Rechts­sinne zugerechnet wird, weil es sich als psychische Folge seiner Nachstellungen darstellt, ist über einen handlungs­leitenden motivationalen Zusammenhang hinaus für eine Einschränkung des gefahr­spezifischen Zusammenhangs zwischen Nachstellung und Todesfolge auch dann kein Raum, wenn das infolge intensiver Nachstellungs­handlungen unter einer sich verstärkenden posttraumatischen Belastungs­störung leidende Opfer (…) ärztliche Behandlung ablehnt und seinem Leben selbst ein Ende setzt.“ (Rn. 20)

A habe hinsichtlich der Verursachung der Todesfolge auch fahrlässig im Sinne von § 18 StGB gehandelt.

Da der Täter bei einem erfolgsqualifizierten Straftatbestand schon durch die schuldhafte Verwirklichung des Grunddelikts objektiv und subjektiv pflichtwidrig handelt, ist alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit der qualifizierenden Tatfolge, hier des Todes des Opfers. Die Vorhersehbarkeit muss sich nicht auf alle Einzelheiten des tödlichen Geschehens erstrecken, insbesondere nicht auf die einzelnen somatischen Vorgänge, die den Tod schließlich ausgelöst haben; es genügt vielmehr die Vorhersehbarkeit des Erfolges im Allgemeinen.

Dass A mit einem tödlichen Ausgang rechnete, kann darauf gestützt werden, dass er der B in einer Textnachricht schrieb, ihr Verhalten werde „ihr das Genick brechen“, es „wird dich töten, irgendwann im Leben, pass auf dich auf…“.

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