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BGH, Beschl. v. 24.01.2017 – 2 StR 459/16: Zur Heimtücke i.S.v. § 211 StGB

Heimtücke i.S.v. § 211 StGB setzt grundsätzlich die Arglosigkeit des Angegriffenen zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungs­vorsatz ausgeführten Angriffs voraus.

Sachverhalt:

Der Angekl. A begegnete auf dem Weg zum Super­markt den Zeuginnen Be und B, die sich vor einem Hotel stehend unterhielten. Als er zwischen ihnen durchgehen wollte, glaubte er zu hören, dass sich diese abfällig über ihn als vorbestraften Sexualtäter unterhielten, woraufhin er mit bedingtem Tötungs­vorsatz mehrfach unvermittelt in die Richtung von Be’s Bauch stach und sie dabei an der Hand verletzte. B erkannte den Angriff auf Be, sah allerdings das Messer nicht und ging von einem Schlag des A aus. Sie wollte weglaufen, um Hilfe zu holen, weil sie weitere Schläge des A befürchtete und sich „auch selbst in Gefahr“ sah. Als A dies bemerkte, entschloss er sich B mit dem Messer anzugreifen. Er ließ freiwillig von Be ab, drehte sich blitzschnell zu B um, hielt sie an ihrer Jacke fest und stach mit dem Messer in Tötungs­absicht sofort kräftig auf Beine und Bauch der vom plötzlichen Angriff überraschten B ein, die aufgrund dessen zunächst nicht abwehrend reagieren konnte, was A bewusst ausnutzte. Erst nach dem Bauchstich erkannte sie, dass der körperlich überlegene A ein Messer in der Hand hielt und fiel daraufhin zu Boden. Obwohl sie sich nun nach Kräften wehrte und versuchte ihr Gesicht und ihren Hals zu schützen, konnte sie nicht verhindern, dass sich A in Beckenhöhe auf sie setzte und weiter mit dem Messer auf ihren Oberkörper einstach. Als A schließlich versuchte, der B mit dem Messer in den Hals zu schneiden, kam ihr ein Passant zu Hilfe. Die schwer verletzte B konnte durch eine Notoperation gerettet werden.

Aus den Gründen:


Die Annahme eines heimtückisch begangenen Tötungs­versuchs an B, den das LG angenommen hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken: Zutreffend sei, „dass für die Bewertung als heimtückisch begangene Tat der Zeitpunkt des ersten mit Tötungs­vorsatz ausgeführten Angriffs maßgeblich ist. Zu dieser Zeit ging die Zeugin B allerdings schon davon aus, dass der Angekl. nach der Verletzung der Zeugin Be auch sie angreifen werde. Sie war daher nicht mehr arglos und nur wegen Arglosigkeit wehrlos.“ (Rn. 10)
„Die Rechts­prechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke die Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, für Ausnahmefälle modifiziert (…). Ein solcher Ausnahmefall liegt zum Beispiel vor, wenn der Täter das Opfer mit Tötungs­vorsatz in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (…). Die Verurteilung wegen versuchten Heimtückemordes kann im vorliegenden Fall aber auch nicht auf eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Heimtücke die Arglosigkeit des Angegriffenen bei Beginn des Angriffs auf Leib oder Leben voraussetzt, gestützt werden. Auch in den Ausnahmefällen hat die Rechts­prechung stets daran festgehalten, dass der Täter bereits in diesem Moment mit Tötungs­vorsatz gehandelt haben muss (…). Daran fehlt es hier. Der Angeklagte hat sich nach den getroffenen Feststellungen zum Angriff auf die Zeugin B erst entschlossen, nachdem diese sich angesichts des Angriffs auf die Zeugin Be zur Flucht gewandt hatte, weil sie auch einen Angriff auf ihre eigene körperliche Unversehrtheit befürchtete.“ (Rn. 11)
Einen Tötungs­versuch aus niedrigen Beweggründen hatte das LG abgelehnt, weil A irrtümlich davon ausgegangen sei, die Zeuginnen hätten sich abfällig über ihn geäußert.

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