Sachverhalt:
Der Ehemann E der Angeklagten A war mit der Versorgung des gemeinsamen Sohnes überfordert und entwickelte bereits nach kurzer Zeit eine heftige Eifersucht gegen das Kind. Dies führte soweit, dass er dem erst 14 Tage alten Kind Schmerzen und Verletzungen zufügte. Gegenüber A lieferte er diesbezüglich harmlose Erklärungen ab. Am Tatabend übernahm E die Versorgung des Kindes, während A im angrenzenden Schlafzimmer verblieb. Als er das Kind nach dem Füttern und Wickeln hochhob, glitt es ihm aus der Hand und schlug mit dem Kopf auf den Wohnzimmertisch, worauf es laut zu schreien begann. Dem Vater des Kindes gelang es jedoch nicht, sein Kind zu beruhigen, sodass er gegen Mitternacht beschloss, dieses zu töten. Er fügte dem Säugling über mehrere Stunden hinweg Misshandlungen zu. Sobald das Kind wieder schrie, fing er damit an es mehrmals heftig zu schütteln. Nachdem dies allerdings auch nicht dazu führte, dass das Kind verstummte, missbrauchte er den Säugling sexuell. A hörte im angrenzenden Wohnzimmer die Schreie des Kindes und erkannte, dass ihr Mann dieses „quälte“. Da sie ihm zeigen wollte, dass sie ihm auch in dieser Situation vertraue, nahm sie billigend in Kauf, dass er dem Säugling wiederholt Schmerzen zufügte. Gegen 3.00 Uhr packte E das Kind mit beiden Händen und schlug seinen Kopf zweimal gegen die Kante des hölzernen Tisches, sodass dieses alsbald verstarb.
Das LG hat A wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen verurteilt. Nach Ansicht des Senats kommt darüber hinaus auch eine Verurteilung wegen der Misshandlung von Schutzbefohlenen in einem besonders schweren Fall nach § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB und wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) oder fahrlässiger Tötung durch Unterlassen (§ 222 StGB) in Betracht.
Aus den Gründen:
Der Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen sei rechtlich nicht zu beanstanden:
Quälen i.S.v. § 225 Abs. 1 StGB „bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. […] Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren. Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen auch durch Unterlassen begangen werden. In subjektiver Hinsicht […] ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind.“ (Rn.15)
Von bedingtem Vorsatz sei hier auszugehen, da A akustisch nicht nur einzelne Verletzungshandlungen wahrnahm, sondern damit rechnete, dass E dem Säugling wiederholt erheblich wehtat, was sie hinnahm, um ihrem Mann zu zeigen, dass sie ihm vertraue.
Zur Qualifikation des § 225 Abs. 3 Nr. 1 führt der Senat aus:
Voraussetzung des Qualifikationstatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB ist, „dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung bringt. Entscheidend ist, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbestandlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen.“
Schwere Gesundheitsbeschädigungen i.S.d. § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 StGB sind solche Folgen der Misshandlung, „die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden, qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen“. (Rn.6)
Im Falle einer Unterlassungstat, begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes ist bzgl. der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren der Qualifikation zumindest bedingter Vorsatz erforderlich.
Es liege hier nahe, dass A zumindest mit der konkreten Gefahr schwerer Gesundheitsbeschädigungen rechnete, da bei einem so jungen Säugling schon bei nicht allzu gravierenden Verletzungshandlungen erhebliche körperliche Folgen eintreten können.
Zu § 227 StGB führt der BGH aus:
In der Rechtsprechung ist die Möglichkeit einer Strafbarkeit aus § 227 StGB aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen anerkannt. Auf die Frage, ob eine Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen nur dann in Betracht kommt, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird, kommt es nicht an. Der Zusammenhang zwischen dem Unterlassen und der tödlichen Folge ist jedenfalls dann gegeben, wenn dem unterlassenden Garanten anzulasten ist, die zum Tode führenden Gewalthandlungen des aktiv Handelnden nicht verhindert zu haben. (Rn. 10)
Der Vorsatz eines Garanten einer Unterlassungstat nach § 227 StGB muss sich allein auf die Eignung der Körperverletzungshandlung, die Todesgefahr zu begründen, beziehen. Gerade nicht auf den Tod des Opfers als Ergebnis des Körperverletzungserfolgs. „Hinsichtlich der tödlichen Folge genügt in subjektiver Hinsicht Fahrlässigkeit (§ 18 StGB). Die qualifizierende Tatfolge muss daher lediglich vorhersehbar sein. Für deren Vorhersehbarkeit reicht es aus, dass der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte erkennen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht.“ (Rn. 11)
Auch diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein, da A aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen hätte erkennen können, dass E im Begriff war, den gemeinsamen Sohn zu töten.