Tödliches Autorennen auf dem Kurfürstendamm als Mord
Aus den Ausführungen der Kammer zum Tötungsvorsatz:
Die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt klar, dass Gleichgültigkeit gegenüber der erkannten Möglichkeit des Erfolgseintritts für den dolus eventualis bei Tötungsdelikten genügt. Ferner betont sie die Bedeutung der Größe und Anschaulichkeit der vom Täter wissentlich
geschaffenen Lebensgefahr auch für das Willenselement des Vorsatzes. Liegt eine große und anschauliche Todesgefahr vor, so genügt das zur Begründung der Zuschreibung des dolus eventualis. Will das Tatgericht trotz einer solchen Gefahr keinen Vorsatz annehmen, so bedarf dies besonderer Begründung (...). Es geht auch bei der hier vorzunehmenden Vorsatz-Fahrlässigkeits-Abgrenzung um die einer revisionsgerichtlichen Überprüfung standhaltenden vollständigen und nachvollziehbaren tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung im bzw. für den Einzelfall, der generalisierende Entscheidungsregeln nicht gerecht werden können (...).
Auch der allein handelnde Schnellfahrer oder der an einem Rennen Teilnehmende bleibt eine Person, die ihren Verstand benutzen kann, Lebens- und Verkehrserfahrung gesammelt hat, eine theoretische und praktische Führerscheinprüfung abgelegt und bestanden hat und die grundsätzlich weiß und erkennen kann, dass ein höchstgefährlicher Fahrstil geeignet ist, den Tod und die Verletzung anderer Menschen zu verursachen. Raserei stellt keine seelische Krankheit dar
und schon bei durchschnittlicher Sinnes- und Geistesanspannung hat der Schnellfahrer im Ruhezustand die Möglichkeit des Insichgehens, Besinnens und der Erkenntnis. Ob er sein Handeln danach ausrichtet, wird von ihm entschieden und im Rahmen der vorzunehmenden Vorsatzprüfung durch das Gericht beurteilt.
Wissenselement:
Die Angeklagten haben demnach als wegen vielfach begangener Verkehrsverstöße bereits sanktionierte Kraftfahrzeuglenker in Form eines Autorennens aus Gewinnstreben, angestrebter Selbstbestätigung und zwecks Demonstration der Stärke des eigenen Wagens zur Tatzeit ihre Fahrzeuge über die aufgezeigte Distanz über die Berliner Hauptverkehrsadern Kurfürstendamm und Tauentzienstraße gelenkt, dabei ihre Geschwindigkeit beständig gesteigert, rotes Ampellicht missachtet und im Tatzeitpunkt den Geschädigten W tödlich verletzt, weil sie mit etwa dreifach überhöhter Geschwindigkeit bei für sie rotem Ampellicht mit Vollgas und ohne jegliche Einsichtsmöglichkeit in die Unfallkreuzung eingefahren sind. Dies stellt ein in jeder Hinsicht halsbrecherisches Verhalten dar, das zum Tod oder zur Verletzung Dritter und auch der eigenen Person führen konnte. Im Hinblick auf den konkreten Fahrstil und die Tatörtlichkeiten war die hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren Verkehrsunfalls naheliegend, zumal die Fahrstrecke nicht menschen- und autoleer war, die Fahrzeuge im Kurvenbereich an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Grenzbereich des technisch Machbaren gelenkt wurden und sich die Gefährlichkeit der Handlung mit der Länge der gefahrenen Strecke kontinuierlich erhöhte, da damit auch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls zunahm. Bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller vorstehenden Umstände ist danach das Wissenselement des Eventualvorsatzes als gegeben anzusehen; denn die extreme Gefährlichkeit der Tathandlung war geeignet, jedem Verkehrsteilnehmer, auch den in keinster Weise psychisch beeinträchtigten Angeklagten, deutlich vor Augen zu führen, dass ein solches Verhalten tödliche Folgen zeitigen konnte. Dies gilt insbesondere für die im Kollisionszeitpunkt erreichte Geschwindigkeit, die bezüglich der Handlung ein lediglich fahrlässiges Verhalten nicht mehr nahelegt (...). Insofern war es konsequent und folgerichtig, dass die Verteidigung das Wissenselement des bedingten
Tötungsvorsatzes nicht in den Mittelpunkt ihrer Plädoyers gestellt hat.
Voluntatives (Wollens-) Element:
Bei der von der Kammer vorgenommenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände war auch das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes zu bejahen. Die Angeklagten haben sich mit der tödlichen Tatbestandsverwirklichung abgefunden, wissentlich eine große, anschauliche und konkrete Lebensgefahr geschaffen, sich gegenüber der erkannten Möglichkeit des Erfolgseintritts gleichgültig verhalten, waren aufgrund ihrer Motivation bereit, schwerste Folgen in Kauf zu nehmen, wobei sie den Tötungserfolg nicht wünschten und auch kein Tötungsmotiv hatten, sondern dem oben aufgezeigten Handlungsantrieb nachgingen. Hinzu kommt, dass, wie vorstehend ausgeführt, die von ihnen eingehaltene Unfallgeschwindigkeit ein nur fahrlässiges Verhalten geradezu ausschließt und ihr Handeln auch vom Wortgehalt und auf einer möglichen Skala von fahrlässig falschem Verkehrsverhalten nicht mehr erfasst wird. Die Angeklagten konnten im Tatzeitpunkt gerade nicht mehr ernsthaft darauf vertrauen, dass alles gut gehen werde, sondern sie überließen es bei Einfahrt in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße/Nürnberger Straße dem Zufall, ob ein bevorrechtigtes Fahrzeug kreuzen werde und die Insassen den unausweichlichen Zusammenstoß überleben würden. Diese Konsequenzen waren ihnen in diesem Moment egal und gleichgültig; denn jeder von ihnen wollte aus dem Rennen als Sieger hervorgehen. Sie ließen es darauf ankommen und konnten nicht mehr ernstlich darauf vertrauen, ein Unfallgeschehen durch ihre Fahrgeschicklichkeit zu vermeiden, was insbesondere dadurch belegt wird, dass ein Vermeidungsverhalten – ein Lenk- oder Bremsmanöver – nicht mehr vorgenommen wurde und auch objektiv nicht mehr möglich war.