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BGH, Beschl. v. 16.05.2018 – 1 StR 123/18: Zum Ausnutzungs­bewusstsein bei der Heimtücke

Grundsätzlich kann bereits dem objektiven Bild des Tatgeschehens das Ausnutzungs­bewusstsein entnommen werden, soweit die Spontaneität des Tatentschlusses und der psychische Zustand des Täters dem nicht entgegenstehen.

Sachverhalt: Der Angekl. A fuhr u.a. mit K in einem Großraumtaxi nach einem Diskothekbesuch nach Hause. Während der Fahrt musste sich A im Taxi übergeben. Es kam zum Streit über die Reinigungs­kosten, im Zuge dessen A den Taxifahrer T mit einem Messer bedrohte. Nachdem A und K ausgestiegen waren, versetzte A dem K aus Wut über dessen Weigerung, sich an den Reinigungs­kosten zu beteiligen, ohne Vorwarnung zwei Faustschläge gegen das Kinn. Im unmittelbaren Anschluss daran stach er mit dem Klappmesser – wiederum ohne Vorwarnung und ohne etwas zu sagen – in Richtung des Halses des K, um sich an diesem abzureagieren. Durch die zwei Faustschläge erlitt K Riss-/Quetschwunden, zudem wurde ihm kurz schwarz vor Augen; durch den Stich mit dem Messer erlitt er eine nicht konkret lebens­gefährliche Schnittwunde am Hals. Für K kamen die Angriffe – unter anderem wegen der zur Tatzeit aufgrund der Dunkelheit eingeschränkten Sicht­verhältnisse – vollkommen überraschend, weswegen er sich dem Tatplan des A entsprechend gegen den Messerangriff nicht zu verteidigen oder zu fliehen vermochte. K nahm erst nach dem Messerangriff das Messer in der Hand des A wahr; zu diesem Zeitpunkt hatte er allerdings noch nicht realisiert, dass A es bereits gegen ihn eingesetzt und ihn verletzt hatte.

Das LG hat sowohl einen bedingten Tötungs­vorsatz bei der Messerattacke als auch die Arg- und Wehrlosigkeit des K in diesem Zeitpunkt angenommen.

Aus den Gründen:

„In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Heimtückemordes nicht nur voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (…). Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungs­losigkeit gegenüber dem Angriff schutz­losen Menschen zu überraschen (…).“ (Rn. 6)

„Das Ausnutzungs­bewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter – wie bei Schüssen in den Rücken des Opfers – auf der Hand liegt (…). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechts­einsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungs­gehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (…). Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungs­bewusstsein fehlte (…).“ (Rn. 7)

„Angesichts der Feststellungen, dass dem mit Tötungs­vorsatz ausgeführten Messerstich zwei mit Körperverletzungs­vorsatz ausgeführte Faustschläge unmittelbar vorausgingen, ist vorliegend das objektive Bild des Geschehens (…) nicht derart eindeutig, dass allein daraus auf ein Ausnutzungs­bewusstsein bei A im maßgeblichen Zeitpunkt der Messerattacke geschlossen werden könnte. Hinzu kommt, dass A wegen des kurz zuvor erfolgten Messereinsatzes gegen T davon ausgehen konnte, dass sein Messer und seine Bereitschaft dieses einzusetzen dem K gegenwärtig waren. Dies gilt besonders auch vor dem Hintergrund, dass das LG zugleich eine affektive Erregung sowie eine Alkoholisierung des A (…) und die Spontaneität der Tatbegehung festgestellt hat, und damit allesamt Umstände, die nach dem zuvor Ausgeführten gegen ein Ausnutzungs­bewusstsein sprechen können. Zudem ist angesichts des raschen Tatgeschehens und der zuvor genannten Gesichtspunkte nicht nachvollziehbar belegt, dass das Vorgehen des A einem Tatplan entsprochen habe und der Tatort von diesem gewählt worden sei.“ (Rn. 8)

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