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OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.10.2018 – 1 OLG 2 Ss 42/18: Zur gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und zur Gegenwärtigkeit des Angriffs bei § 32 StGB

Amtliche Leitsätze:
1. Wird bereits durch den gezielten Anstoß mit einem Kraftfahrzeug selbst eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und/oder eine Gesundheitsschädigung bewirkt, kann darin eine gefährliche Körperverletzung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen. Für die Erfüllung dieses Tatbestandes reicht es dagegen nicht aus, wenn die Körperverletzung erst infolge des Sturzes und durch den Aufprall auf den Boden eintritt.

2. Bei Eigentums- und Vermögensdelikten ist ein gegenwärtiger Angriff i.S.v. § 32 StGB noch gegeben, solange die Beute nicht endgültig gesichert ist; auf die Vollendung der Tat kommt es nicht an. Nichts anderes gilt für den Angriff auf das Besitzrecht.

Sachverhalt:
S hat in der Annahme, aufgrund eines zu seinen Gunsten offenen Darlehensbetrages hierzu berechtigt zu sein und unter Hinweis darauf, dass sie sich die Tasche abholen könne, wenn sie ihm sein Geld bringe – die Handtasche der A widerrechtlich aus dem von ihr genutzten, zu diesem Zeitpunkt stehenden PKW, genommen, indem er sich über die im PKW auf dem Fahrersitz sitzende A gebeugt hat, um die auf dem Beifahrersitz befindliche Handtasche greifen zu können. Anschließend hat er sich mit der Handtasche auf den Weg zu seiner – der A bekannten – Wohnung gemacht. Kurze Zeit nachdem sich S mit der Handtasche der A entfernt hatte, begann die A ihn mit dem vorgenannten PKW zu verfolgen. Dabei fuhr sie von der rechten Fahrspur auf den links von ihr gelegenen Bürgersteig, um den dort laufenden S von hinten anzufahren. Hierbei erfasste A den S im Bereich der Waden, wodurch er über die Motorhaube rutschte und neben dem Fahrzeug zum Liegen kam. A handelte hierbei in der Absicht, den S zu verletzen. Sie nahm sodann ihre Handtasche wieder an sich und fuhr mit dem PKW davon. S erlitt infolge des Unfalles Schmerzen und Schürfwunden am linken Unterarm und am linken Oberschenkel, Schmerzen im Bereich der linken Hüfte und der Wirbelsäule.“

Das Landgericht hat das festgestellte Verhalten der A rechtlich als vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) gewürdigt. Dieses sei rechts­widrig gewesen, weil das Handeln der A in Ermangelung eines gegenwärtigen Angriffs nicht durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen sei. A habe sich auch nicht auf den Rechtfertigungs­tatbestand des § 859 Abs. 2 BGB berufen können. Zwar habe S die Handtasche im Wege der verbotenen Eigenmacht an sich genommen. A habe aber rechts­missbräuchlich gehandelt, weil die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des S sowie die Gefahr für dessen Leben in einem unerträglichen (Miss-)Verhältnis zu dem angegriffenen Rechts­gut der Besitzentziehung gestanden hätten.

Rn. 6
Die Annahme des Landgerichts, A habe sich durch das Anfahren S einer – vollendeten – gefährlichen Körperverletzung i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht, wird von den hierzu getroffenen Feststellungen nicht getragen. […]

Rn. 7
Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung i.S.d. § 223 Abs. 1 StGB beifügt. Zwar kommt ein fahrendes Fahrzeug, wenn es zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, grundsätzlich als ein gefährliches Werkzeug in diesem Sinne in Betracht. Wird bereits durch den gezielten Anstoß mit einem Kraftfahrzeug selbst eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und/oder eine Gesundheitsschädigung bewirkt, kann darin eine gefährliche Körperverletzung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen. Nach der Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs reicht es für die Erfüllung dieses Tatbestandes aber nicht aus, wenn die Körperverletzung erst infolge des Sturzes und durch den Aufprall auf den Boden eintritt. Denn diese ist dann nicht mehr durch den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper bewirkt, sodass eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf solche Schäden nicht gestützt werden kann.

Rn. 8
Ob die vom Landgericht festgestellten Verletzungen des S (am linken Unterarm, am linken Oberschenkel sowie im Bereich der linken Hüfte und der Wirbelsäule) auf den unmittelbaren Anstoß mit dem Kraftfahrzeug oder erst durch den darauffolgenden Aufprall auf den Gehweg bewirkt wurden, lässt sich den dazu getroffenen Feststellungen nicht zweifelsfrei entnehmen. Die Art der Verletzungen und die betroffenen Körperregionen (Unterarm, Oberschenkel, Hüfte und Wirbelsäule) deuten jedoch darauf hin, dass diese nicht durch den im Waden­bereich erfolgten Anstoß sondern erst durch den nachfolgenden Sturz verursacht worden sind. Letzteres würde nach den vorgenannten Grundsätzen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht tragen.

Rn. 9
Die Tatvariante eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) scheidet nach den bisher getroffenen Feststellungen aus. Denn Anhaltspunkte für die Annahme, A habe planmäßig ihre Angriffsabsicht verborgen, enthält das angefochtene Urteil nicht. Dass sich A dem S von Hinten näherte und dieser mit einem Angriff nicht rechnete, reicht zur Begründung von Hinterlist nicht aus.

Rn. 10
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen auch nicht die Tatvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Das Landgericht hat zwar das Anfahren des S mit einem Kraftfahrzeug als eine das Leben gefährdende Handlung gewertet. Die hierzu getroffenen Feststellungen reichen jedoch nicht aus, diese Wertung nachvollziehbar zu machen.

Rn. 11
Zwar wird ein Fahrzeugführer, der gezielt einen Fußgänger von hinten anfährt die konkreten Aus­wirkungen dieser Handlung nicht stets vollständig beherrschen und den Umfang der dadurch bewirkten Verletzungen kontrollieren können. Dies entbindet den Tatrichter jedoch nicht von Feststellungen zum konkreten Tatablauf. Denn die (Lebens-)Gefährlichkeit der konkreten Handlung hängt regelmäßig insbesondere von der Anstoßgeschwindigkeit und der Konstitution des Geschädigten sowie davon ab, ob und inwieweit diesem Reaktions­möglichkeiten verblieben waren. Vor diesem Hintergrund belegen die getroffenen Feststellungen zum Unfallhergang – Erfassen des S im Bereich der Waden, Sturz über die Motorhaube auf den Gehweg – für sich genommen die Lebens­bedrohlichkeit des Geschehens nicht. Dafür, dass A den S mit einer nicht nur geringen Geschwindigkeit erfasst und daher die Gefahr des Eintritts weit erheblicherer Verletzungen bestanden hat, ergeben sich weder aus dem geschilderten Geschehensablauf noch aus dem mitgeteilten Verletzungs­bild Anhaltspunkte.

Rn. 12
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass der neue Tatrichter die Voraussetzungen einer Rechtfertigung nach § 32 StGB eingehender als bisher geschehen wird prüfen müssen.

Rn. 13
Der Rechtfertigungs­grund der Notwehr kommt auch bei dem das Allgemeinrechts­gut der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs schützenden Tatbestand des § 315b StGB grundsätzlich jedenfalls dann in Betracht, wenn und soweit – wie hier – die durch die Tat konkret gefährdete Person Angreifer i.S.d. § 32 StGB ist. Die Mitteilung, A habe sich „kurze Zeit nachdem sich der Zeuge S. (..) entfernt hatte“ auf die Verfolgung gemacht, reicht zum Beleg der fehlenden Gegenwärtigkeit des Angriffs nicht aus. Bei Eigentums- und Vermögensdelikten ist ein gegenwärtiger Angriff noch gegeben, solange die Beute nicht endgültig gesichert ist; auf die Vollendung der Tat kommt es nicht an. Nichts anderes kann für den hier vom Landgericht festgestellten Angriff auf das Besitzrecht der A gelten. Dass S, der sich noch auf dem Weg zu seiner Wohnung befand, den Besitz an der Handtasche im Zeitpunkt der Tat bereits endgültig gesichert hatte, liegt nach den bisher getroffenen Feststellungen eher fern. Gegen eine solche Annahme spricht bereits, dass A schon „kurze Zeit“ nach der Wegnahme der Tasche die Verfolgung des S aufgenommen hat und für sie offensichtlich auch nicht zweifelhaft gewesen war, wo sie diesen mit der Beute würde antreffen können. Hinzu tritt, dass die durch die Ankündigung des S, er werde die Tasche erst nach Zahlung eines Geldbetrages zurückgeben, bewirkte Nötigungs­lage weiterhin andauerte.

Rn. 14
Sofern der neue Tatrichter die Gegenwärtigkeit des Angriffs im Zeitpunkt der Tat bejaht, wird er zu beachten haben, dass ein Verteidigungs­wille im Rahmen des § 32 StGB auch dann noch als relevantes Handlungs­motiv anzuerkennen ist, wenn andere Beweggründe, etwa Vergeltung und Rache, hinzutreten. Feststellungen dahingehend, dass A andere mildere Mittel zur Verfügung gestanden haben, um ihre Tasche zurückzuerlangen, hat das Landgericht bislang nicht getroffen. Der Tatrichter wird ferner zu beachten haben, dass im Rahmen des § 32 StGB eine Abwägung der betroffenen Rechts­güter grundsätzlich nicht stattfindet, die Verteidigung sich aber als rechts­missbräuchlich darstellen kann, wenn ein unerträgliches Miss­verhältnis zwischen dem angegriffenen Rechts­gut und den (potentiellen) Folgen der zu seiner Abwehr vorgenommenen Handlung besteht. Ein grobes Miss­verhältnis wird nicht schon mit Blick auf die tatsächlich bewirkten Verletzungen des S, die nicht lebens­bedrohlich waren und folgenlos verheilt sind, angenommen werden können. Eine solche Annahme kann aber in Betracht kommen, wenn A den S durch die Tat in die konkrete Gefahr einer schweren oder gar lebens­bedrohenden Verletzung gebracht hat. Hierzu bedarf es, wie bereits oben ausgeführt, weitergehender Feststellungen.

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