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BGH, Beschl. v. 05.06.2019 – 1 StR 34/19: Zum Rücktritt vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 253, 255, 22, 23 StGB)

Leitsatz (amtlich): Ein wirksamer Rücktritt vom Versuch der räuberischen Erpressung mit Todesfolge durch Verhinderung der Todesfolge gemäß § 24 I (1) Alt. 2 StGB setzt nicht voraus, dass der Täter auch vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung (§§ 250, 255 StGB) zurücktritt. Dies gilt selbst dann, wenn der Täter für den Fall, dass seine Forderungen nicht erfüllt werden, damit droht, erneut ein Mittel einzusetzen, das geeignet ist, den Tod anderer Menschen herbeizuführen.

Sachverhalt:

Der Angeklagte (A) entschloss sich dazu, mehrere Gläser Babynahrung mit Gift zu versetzen und diese im Anschluss in mehreren Geschäften verschiedener Einzelhandels­ketten auszubringen. Er wollte sodann die Unter­nehmen – unter Hinweis auf die mit einer tödlichen Menge Gift kontaminierten Gläser und unter Androhung der Ausbringung weiterer kontaminierter Gläser – zur Zahlung eines Millionenbetrages bewegen. Um an das Geld zu gelangen, nahm er den Tod von Säuglingen oder Kleinkindern zumindest billigend in Kauf.

A verteilte fünf von ihm mit jeweils für Säuglinge und Kleinkinder tödlichen Ethylenglykolmengen präparierte – äußerlich nicht auffällige – Gläser auf fünf zu dieser Zeit regulär und jeweils noch einige Stunden geöffnete Lebens­mittel- und Drogeriemärkte in F. Wenige Stunden später informierte A mit einer E-Mail und dem Betreff „Vergiftete Babynahrung in Geschäften in F.“ überregionale Behörden und sechs Einzelhandels­konzerne wahrheitsgemäß darüber, dass sich in fünf Märkten namentlich bezeichneter Einzelhandels­konzerne, die in F. zum Teil mehrere Filialen hatten, fünf mit einer tödlichen toxischen Menge versetzte, konkret bezeichnete Produkte befänden. Er forderte die Zahlung von Bargeld in Höhe von 11,75 Mio. Euro, damit niemand zu Schaden komme, drohte aber anderenfalls, weitere vergiftete Produkte in Umlauf zu bringen. In den nächsten Tagen konnten alle fünf Gläser in den zum Teil für Kunden regulär geöffneten Filialen sichergestellt werden, ohne dass es zum Verkauf kam. Eine Zahlung auf die Forderung des A erfolgte nicht.

Das LG hat das Tatgeschehen als versuchten Mord – unter Annahme der Mordmerkmale Habgier, Ermöglichungs­absicht und Heimtücke – in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge in der Konstellation des Versuchs der Erfolgs­qualifikation gewertet.

Aus den Gründen:

„Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann A jedoch deshalb nicht wegen der Taten des versuchten Mordes und der versuchten (besonders) schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge bestraft werden, weil er im Sinne von § 24 I (1) Alt. 2 StGB die Vollendung dieser Tatbestände verhindert hat. […]“ (Rn. 14)

„Nach der Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs kommt ein Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 I (1) Alt. 2 StGB auch dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Er-folgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gemäß § 24 I (2) StGB gilt für diesen Fall nicht. Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist. Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten.“ (Rn. 15)

„Ausgehend von diesen Maßstäben ist A durch Verhinderung des Taterfolgs der Tötung von Menschen gemäß § 24 I (1) Alt. 2 StGB wirksam vom – beendeten – Versuch des Mordes zurückgetreten. Indem er in einer anonym verfassten E-Mail auf die kontaminierten Produkte aufmerksam machte, setzte A eine neue Kausalkette in Gang, die nicht nur aus seiner Sicht zur Sicherstellung der vergifteten Babynahrung führen sollte, sondern tatsächlich zu deren Auffinden führte und sich damit für die Verhinderung der Tatvollendung auch als ursächlich erwies. […]“ (Rn. 15–16)

„Zwar ist es für einen Rücktritt erforderlich, dass der Täter den Tatvorsatz vollständig aufgibt. Deshalb reicht es nicht aus, wenn der Täter den Taterfolg weiterhin billigend in Kauf nimmt, etwa indem er dem Opfer „nach Art eines Glücksspiels eine Chance gibt“. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Vielmehr enthielt der an die Polizei und die betroffenen Einzelhandels­unter­nehmen gegebene Hinweis auf die vergiftete Babynahrung konkrete Angaben, die der Polizei gezielte Maßnahmen zum Auffinden und zur Sicherstellung der vergifteten Produkte vor dem Verzehr ermöglichten. […]“ (Rn. 18)

„Einem wirksamen Rücktritt steht auch nicht entgegen, dass A seinen Willen nicht aufgegeben hatte, zu einem späteren Zeitpunkt erneut vergiftete Babynahrung in die Regale von Lebens­mittelmärkten zu stellen, sofern seine Zahlungs­forderungen nicht erfüllt würden. Denn zu einem hierdurch begangenen erneuten Mordversuch hatte A noch nicht im Sinne von § 22 StGB angesetzt. Die Androhung einer solchen Gefährdung von Leib oder Leben wird aber vom Tatbestand der räuberischen Erpressung (§ 255 StGB) erfasst.“ (Rn. 19)

„Auch vom (beendeten) Versuch der (besonders) schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge ist A wirksam zurückgetreten, indem er die Vollendung der Todesfolge als Erfolgs­qualifikation im Sinne von § 24 I (1) Alt. 2 StGB verhindert hat. Rücktritt vom versuchten erfolgsqualifizierten Delikt ist in den Fällen des Versuchs der Erfolgs­qualifikation auch dadurch möglich, dass der Täter das Eintreten der Folge verhindert. So verhält es sich hier. Der Rücktritt vom versuchten Mord und von der Erfolgs­qualifikation des § 251 StGB lässt die Strafbarkeit wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung unberührt, weil A hiervon nicht zurückgetreten ist.“ (Rn. 20–22)

„Mit seinem Hinweis auf die in Lebens­mittel- und Drogeriemärkten in F. befindlichen fünf Gläser mit vergifteter Babynahrung hat A zwar insoweit eine Tötung von Kleinkindern verhindert. Sein Verhalten erfüllt aber den Tatbestand der versuchten räuberischen Erpressung, weil A zur Durchsetzung seiner unberechtigten Geldforderung gegen die Einzelhandels­unter­nehmen mit der weiteren Verbreitung vergifteter Babynahrung „in nationalen und internationalen“ Filialen der Unter­nehmen gedroht hat.“ (Rn. 23)

[…]

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