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BGH, Beschl. v. 20.03.2019 – 4 StR 517/18: Zum Eintritt eines konkreten Gefahrzustandes bei § 315b StGB

Sachverhalt:

Der Angeklagte A war dazu entschlossen mit dem von ihm geführten PKW auf eine Menschen­gruppe zuzufahren, die sich zum Teil auf der Straße und zum Teil auf dem neben der Straße verlaufenden Fußgängerweg befand, der mit Betonpollern zur Straße hin abgegrenzt war. A erkannte, dass der Zeuge M mit dem Rücken zu ihm vor den Pollern auf der Straße stand, und beabsichtigte, diesen mit seinem Fahrzeug nicht unerheblich zu verletzen. Unmittelbar bevor es zu einer Kollision kam, sprang M hinter die Poller, wobei er eine neben ihm befindliche Mülltonne gleichzeitig schützend vor sich warf. Das von dem Angekl. gelenkte Fahrzeug verfehlte ihn infolge seines Sprungs und streifte den ersten Poller mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 20 km/h und höchstens 33 km/h. Außerdem erfasste es frontal die Abfalltonne, deren Deckel dadurch abbrach und bei der ein Rad verkratzt wurde. Wäre M nicht hinter die Poller gesprungen, wäre er von dem Fahrzeug des A erfasst und wie von diesem beabsichtigt nicht unerheblich verletzt worden.

Das LG hat die Tat als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB bewertet und dabei den Taterfolg im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB in der Gefährdung der körperlichen Integrität des M gesehen. Nach Ansicht des Senats belegen die Feststellungen die für die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht.

Aus den Gründen:

„Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebens­erfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechts­gut verletzt wurde oder nicht.“ (Rn. 5)

„Nach den dazu entwickelten Maßstäben genügen die Feststellungen des LG nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr für die körperliche Integrität des M. Zwar wurden Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit getroffen; den Urteilsgründen lässt sich aber nicht entnehmen, wie weit sich das Fahrzeug des Angeklagten dem M angenähert hatte, als dieser hinter den Poller sprang. Dass sich M und das Fahrzeug des Angeklagten in räumlicher Nähe zueinander befanden und M ohne sein Wegspringen erfasst worden wäre, genügt – insbesondere mit Blick auf die niedrige gefahrene Geschwindigkeit – insoweit nicht. Die vergleichsweise komplexe Abwehrreaktion des M, (…) spricht eher gegen das Vorliegen eines Beinahe-Unfalls. Verhielte es sich so, fehlte es insoweit an einer bereits eingetretenen konkreten Gefahr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB, und es käme deshalb nur eine Strafbarkeit wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach Absatz 2 der Vorschrift in Betracht.“ (Rn. 6)

„Eine konkrete Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert hat das Landgericht nicht angenommen. Feststellungen zum Wert der beschädigten Abfalltonne und des Pollers sowie der Höhe des (drohenden) Schadens fehlen.“ (Rn.7)


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