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BGH, Beschl. v. 21.03.2019 – 3 StR 333/18: Zum Diebstahl bei Abhebevorgängen an Geldautomaten (zugleich Anfragebeschluss an 2. Strafsenat)

Leitsatz: Bei der automatisierten Geldausgabe entspricht es dem Willen des Geldinstituts, den Gewahrsam an den Geldscheinen demjenigen zu übertragen, der den Geldautomaten technisch ordnungs­gemäß bedient, indem er sich mittels Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert. Das Einverständnis des Geldinstituts hinsichtlich des Gewahrsamsübergangs ist in personeller Hinsicht auf denjenigen beschränkt ist, der sich durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert.

Sachverhalt (gekürzt):

Die Angeklagten (A) beabsichtigten in Bankfilialen Geld von Kunden zu erbeuten, die dort an Automaten Geld abheben wollten. Nachdem ein Kunde seine Bankkarte in den Geldautomaten eingeführt und seine PIN eingegeben hatte, versuchten sie, den Kunden abzulenken. Gleichzeitig versuchte einer der A, von dem Kunden unbemerkt einen möglichst hohen Geldbetrag einzugeben und das anschließend ausgeworfene Geld aus dem Ausgabefach zu entnehmen.

Das Landgericht hat die Taten u.a. als vollendeten Diebstahl gewertet und ist davon ausgegangen, dass die A den Gewahrsam der Bankkunden an den im Ausgabefach des Geldautomaten befindlichen Geldscheinen brachen. Der Senat beabsichtigt, die Revisionen der A zu verwerfen.

Aus den Gründen:

Die im Ausgabefach des Geldautomaten zur Entnahme bereit liegenden Geldscheinen übereignete das Geldinstitut durch deren Ausgabe nicht an die A.

„Adressat des mit dem Ausgabevorgang verbundenen Einigungs­angebots im Sinne des § 929 S. 1 BGB ist nach den vertraglichen Beziehungen zwischen Kontoinhaber und Geldinstitut sowie der Interessenlage der berechtigte, nicht aber ein unberechtigter Benutzer des Geldautomaten. Dies gilt auch dann, wenn eine technisch ordnungs­gemäße Bedienung des Automaten voranging, denn das Geldinstitut hat keinen Anlass, das ihm gehörende im Automaten befindliche Geld demjenigen zu übereignen, der unbefugt darauf zugreift. […]“ (Rn. 8)

„Hier nahmen die Berechtigten das Übereignungs­angebot des jeweiligen Betreibers der Geldautomaten indes nicht an, weil sie von den A und ihren Mittätern von der Entgegennahme des Geldes abgehalten bzw. an ihr gehindert wurden. Die Geldscheine blieben mithin im Eigentum der ausgebenden Geldinstitute.“ (Rn. 10)

„Die A nahmen die Geldscheine weg, indem sie diese aus dem Geldausgabefach entnahmen; […].“ (Rn. 11)

„Hier befand sich das in dem Geldautomaten enthaltene Geld zunächst im Gewahrsam des Geldinstituts. Dieser bestand – wenn auch in gelockerter Form – fort, als die Geldscheine im Ausgabefach zur Entnahme bereit lagen. […] Den somit fortbestehenden Gewahrsam der Geldinstitute brachen die A, indem sie die Geldscheine aus dem Ausgabefach herausnahmen. Dadurch wurde der Gewahrsam des Geldinstituts an dem Geld ohne dessen Willen aufgehoben.“ (Rn. 13–15)

„Bei der automatisierten Geldausgabe entspricht es dem Willen des Geldinstituts, den Gewahrsam an den Geldscheinen demjenigen zu übertragen, der den Geldautomaten technisch ordnungs­gemäß bedient, indem er sich mittels Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert. […] Maßgeblich für das Einverständnis des Geldinstituts mit der Gewahrsamsübertragung ist allein die funktions­gerechte Bedienung des Geldautomaten durch Eingabe von Bankkarte und PIN.“ (Rn. 16)

„Daraus folgt aber zugleich, dass das Einverständnis des Geldinstituts hinsichtlich des Gewahrsamsübergangs in personeller Hinsicht auf denjenigen beschränkt ist, der sich durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert. […]

Es ist anerkannt, dass auch der tatsächliche auf eine Gewahrsamsübertragung gerichtete Wille, der von dem rechts­geschäftlichen Übereignungs­angebot getrennt zu betrachten ist, gleichwohl an Bedingungen geknüpft sein kann; solche werden berücksichtigt, wenn sie äußerlich erkennbar sind. Aus diesem Grund steht nach herrschender Auffassung, der zu folgen ist, etwa bei Waren- oder Geldspielautomaten das Einverständnis des Automatenaufstellers mit einer Gewahrsamsübertragung unter der Bedingung der äußerlich ordnungs­gemäßen Bedienung. Überträgt man diese Grundsätze auf die vorliegende Fallkonstellation, ergibt sich, dass die Geldinstitute durch die allgemein bekannte Programmierung von Geldautomaten, wonach das Geld nur bei technisch ordnungs­gemäßer Bedienung durch Eingabe von Bankkarte und PIN ausgegeben wird, ihr Einverständnis mit dem Gewahrsamsübergang in personeller Hinsicht erkennbar auf diejenigen Personen beschränken, die den Geldausgabevorgang entsprechend initiieren. […]

Danach brachen die A den Gewahrsam des jeweiligen Geldinstituts an den Geldscheinen, indem sie diese dem Ausgabefach des Geldautomaten entnahmen. Denn der auf die Übertragung des Gewahrsams gerichtete Wille war auf die Berechtigten beschränkt, nachdem diese sich durch die insoweit maßgebliche Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN legitimiert und den Geldausgabevorgang ordnungs­gemäß in Gang gesetzt hatten. […]“ (Rn. 17–19)

„Der beabsichtigten Entscheidung steht der Beschluss des 2. Strafsenats vom 16. November 2017 (2 StR 154/17, NStZ 2018, 604) entgegen. Diesem lag folgender, den hier in Rede stehenden Fällen vergleichbarer Sachverhalt zugrunde:

Der Geschädigte hatte sich in eine Sparkassenfiliale begeben, um dort an einem Geldautomaten Geld abzuheben. Nachdem er seine Bankkarte in den Automaten eingeschoben und seine PIN eingegeben hatte, stieß ihn der A weg, wählte einen Auszahlungs­betrag von 500 € und entnahm das vom Geldautomaten ausgegebene Bargeld, um sich zu Unrecht zu bereichern.

Der 2. Strafsenat hat die Auffassung des Landgerichts, wonach sich der A einer räuberischen Erpressung, nicht dagegen eines Raubes schuldig gemacht hatte, unter ausdrücklicher Berufung auf die Entscheidungen des Bundes­gerichtshofs vom 16. Dezember 1987 (3 StR 209/87, BGHSt 35, 152) und vom 22. November 1991 (2 StR 376/91, BGHSt 38, 120) bestätigt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, der A habe die Geldscheine nicht weggenommen. Werde der Geldautomat technisch ordnungs­gemäß bedient, werde das Geld tatsächlich mit dem Willen des Geldinstituts ausgegeben. Dessen Gewahrsam werde nicht gebrochen. Da der Geschädigte keinen Gewahrsam an den Geldscheinen begründet habe, habe auch dieser vom A nicht gebrochen werden können.“ (Rn. 23–25)

„Der Senat fragt deshalb bei dem 2. Strafsenat des Bundes­gerichtshofs an, ob an der entgegenstehenden Rechts­prechung festgehalten wird, § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG.“ (Rn. 27)