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BGH, Beschl. v. 29.08.2019 – 2 StR 85/19: zur raub­spezifischen Einheit zwischen Nötigungs­handlung und Wegnahme

Sachverhalt

Der Angeklagte war bis zu seiner Kündigung in einer Filiale als Verkäufer angestellt. Er beschloss, unter Ausnutzung der während seiner Beschäftigung erworbenen Kenntnisse zu den dortigen Räumlichkeiten und Betriebs­abläufen, Bargeld aus dem Tresor der Filiale zu entwenden.

Hierfür lauerte er seiner ehemaligen Kollegin A nach Schichtende vor ihrer Wohnanschrift auf und sprühte ihr und dem ihr zur Hilfe eilenden S ohne Vorwarnung mit einem Reizstoffsprühgerät ins Gesicht, um aus der Handtasche der A die Filialschlüssel – und mit diesen das im Tresor deponierte Bargeld – zu entwenden.

Der Angeklagte entnahm der Handtasche die Filialschlüssel, fuhr zu dem Geschäft und entwendete das im Tresor befindliche Bargeld.

Der BGH bestätigt eine vom LG angenommene Verwirklichung der §§ 249; 250 II Nr. 1 StGB, sowie der §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 2 StGB durch das in das Gesicht Sprühen von Reizgas und dem anschließenden Entwenden der Handtasche mit den Filialschlüsseln.

Darüber hinaus liegt ein vom Landgericht angenommener eigenständiger Diebstahl wegen der Wegnahme des Bargeldes aus dem Tresor nicht vor. Stattdessen handelt es sich hierbei um einen rechtlich unselbstständigen Teilakt des besonders schweren Raubes.

Aus den Gründen:

Kennzeichnend für das Vorliegen einer Raubtat i.S.d. §§ 249 ff. StGB ist die Wegnahme einer Sache „mit Gewalt gegen eine Person“ oder „unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“. Die raub­spezifische Einheit zwischen Nötigungs­handlung und Wegnahme ist gegeben, wenn zwischen beiden Elementen sowohl eine subjektiv-finale Verknüpfung, als auch ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang bestehen. Für den räumlich-zeitlichen Zusammenhang ist weder erforderlich, dass der Ort der Nötigungs­handlung und der Ort des Gewahrsamsbruchs identisch sind, noch bestehen verbindliche Werte zu einem zeitlichen Höchstmaß zwischen Einsatz des Nötigungs­mittels und Wegnahme. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei es vor allem darauf ankommt, ob es zu einer – vom Täter erkannten – nötigungs­bedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungs­fähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist. (Rn. 10)

Nach diesen Maßstäben bildet das hier zu beurteilende Tatgeschehen bei natürlicher Betrachtung eine Einheit, bei der sich die Entwendung des Bargeldes aus dem Tresor lediglich als unselbstständiger Teil des mit Abnötigung der Filialschlüssel begonnenen Raubes darstellt. Der Angeklagte hatte von Anfang an – ausschließlich – die Absicht, der A die zur Filiale gehörigen Schlüssel zu entwenden, um damit das im dort befindlichen Tresor deponierte Bargeld an sich zu bringen. Mit der Gewalt­anwendung hat er die Wegnahme der Schlüssel lediglich als Zwischenziel zur beabsichtigten Entwendung des Bargeldes erstrebt. Entsprechend seinem Tatplan begab er sich ohne Zäsur nach dem verübten Überfall auf die A zu der Filiale, wo er mit den entwendeten Schlüsseln das im Tresor befindliche Bargeld wegnahm. (Rn. 11)

Der Einsatz des Reizgases gegen die A und S führte zu einer Schwächung der Verteidigungs­fähigkeit der A hinsichtlich des Gewahrsams an dem im Tresor befindlichen Bargeld, die im Zeitpunkt der Wegnahme des Geldes noch fortwirkte, was sich der Angeklagte zunutze machte. (Rn. 12)

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