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BGH, Beschl. v. 19.11.2020 (Teil 1: Zum erpresserischen Menschenraub im sog. Zweipersonen­verhältnis)

Sachverhalt [Rn. 3–5, 13–17]:

A ging mehrmals nach demselben Tatmuster vor. Er stieg zu seinen Opfern ins Kraftfahrzeug und forderte sie auf, loszufahren. Dabei hielt er zu Drohzwecken deutlich sichtbar ein „Teppich-/Cuttermesser“ mit ausgezogener Klinge in der rechten Hand und erklärte den Geschädigten, dass ihnen nichts geschehen werde, wenn sie seine Anweisungen befolgten. Unter dem Eindruck dieser Drohung fuhren die Geschädigte los. Nach kurzer Fahrtzeit forderte der A die Opfer auf, ihr Fahrzeug anzuhalten und ihm ihre Bankkarte nebst PIN auszuhändigen. Dieser Forderung kamen die Opfer unter dem Eindruck der fortdauernden Drohung und ihrer Furcht, der Angeklagte werde anderenfalls mit dem Messer zustechen, nach. Anschließend forderte der Angeklagte sie auf, aus ihrem Fahrzeug auszusteigen und ihre Geldbörse mit Bargeld sowie ihr Handy zurückzulassen. Nachdem die Opfer auch dieser Forderung nachgekommen waren, fuhr A mit den Fahrzeugen davon.

Am Folgetag fiel einer Polizeistreife eines der erbeuteten Kraftfahrzeuge auf, an dessen Steuer der A saß. Der A entschloss sich zur Flucht, um einer Festnahme zu entgehen. Bei einer Geschwindigkeit von rund 100 km/h überholte der A mehrere vor ihm die rechte Fahrspur befahrende Kraftfahrzeuge und nahm dabei die Gefährdung anderer Verkehrs­teilnehmer zumindest billigend in Kauf. Er geriet zudem durch Überholmanöver mehrfach in den Gegenverkehr. Der A kam u.a. einem Streifenwagen so entgegen, dass dieser auf die Fahrspur des Gegenverkehrs ausweichen musste, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Der Angeklagte nahm zumindest billigend in Kauf, den Streifenwagen durch einen Zusammenstoß zu beschädigen und dessen Insassen zu verletzen. Letztlich gelang es den Polizeibeamten dem A den Fluchtweg abzuschneiden. Obwohl der Angeklagte die Aussichtslosigkeit einer weiteren Flucht erkannte, fuhr er zunächst mit gleichbleibender Geschwindigkeit auf den Streifenwagen zu. Erst wenige Meter vor dem schon stehenden Streifenwagen bremste er aus Selbstschutz noch auf etwa Schrittgeschwindigkeit ab und kollidierte mit der Front des Streifenwagens, der dadurch beschädigt wurde. Dies hatte der Angeklagte ebenso wie eine Verletzung der Insassen in Kauf genommen.

Teil 1: Zum erpresserischen Menschenraub, § 239a StGB [Rn. 8–11]:

Das LG hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung (§§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub (§ 239a Abs. 1 Alt. 2 StGB) in zwei Fällen verurteilt. Diese Annahme ist jedoch zur subjektiven Tatseite nicht belegt.

Eine Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB erfordert im sog. Zweipersonen­verhältnis – wie hier – in subjektiver Hinsicht neben dem Vorsatz in Bezug auf die objektiven Tatbestandsmerkmale, dass der Täter in der Absicht handelt, die Sorge des Opfers um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. Dies setzt voraus, dass sich nach der Vorstellung des Täters die Bemächtigungs­situation in gewissem Umfang stabilisiert und neben den Nötigungs­mitteln des § 253 Abs. 1 StGB eigenständige Bedeutung für die Durchsetzung der erpresserischen Forderung erlangt. Darüber hinaus muss aus der Sicht des Täters zwischen der Entführungs- oder Bemächtigungs­lage und der beabsichtigten Erpressung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang dergestalt hergestellt werden, dass dem Opfer die erstrebte Vermögensverfügung noch während der Dauer der Zwangs­lage abgenötigt werden soll.

Der A hat im vorliegenden Fall jedoch keine Angaben dazu gemacht, welchen konkreten Zweck er mit dem Ortswechsel verfolgte. Durch den mit der Fahrt verbundene Ortswechsel hat der A nach Aussagen der Opfer den mit dem Messer ausgelösten Druck nicht noch einmal erhöht. A beabsichtigte nicht, bei seinen Opfern durch das Verbringen an einen entlegenen Ort noch ein gesteigertes Gefühl der Hilflosigkeit zu wecken und sie zusätzlich einzuschüchtern, sondern lediglich die Kontaktaufnahme der Tatopfer zu etwaigen Helfern zu erschweren und dadurch seine Flucht zu sichern. Diese Erwägungen lassen sich nicht mit der Annahme vereinbaren, dass die Bemächtigungs­lage nach dem Vorstellungs­bild des A neben dem von ihm zu Drohzwecken eingesetzten Teppichmesser eine eigenständige Bedeutung für die spätere Erpressung entfalten sollte.

Eine Strafbarkeit wegen erpresserischem Menschenraub ist somit nicht gegeben. 

Zum Teil 2: Verkehrs­delikte § 315c Abs. 1 StGB

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