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BGH, Beschluss vom 22.01.2020 – 3 StR 526/19: Zum Wohnungs­einbruchsdiebstahl und dem Begriff der Wohnung

Sachverhalt:

Der Angeklagte A beschloss, vorrangig in die Häuser Verstorbener einzubrechen. Dafür informierte er sich durch Traueranzeigen in der Tageszeitung über Todesfälle. In der Folgezeit brach A durch ein Fenster in ein Haus eines zwei Wochen zuvor Verstorbenen ein und entwendete nicht geringwertige Beute. Zu anderer Zeit hebelte er die Terrassentür eines weiteren Hauses auf, brach einen Tresor aus einem Schrank und nahm diesen mit. In einem dritten Fall brach A das Vorhängeschloss eines Lagercontainers auf und entwendete einen Werkzeugkoffer. Hierbei handelte er in der Absicht, sich durch gleichartige Taten eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Im letzten Fall hebelte A ein Fenster auf und stiegt in das Wohnzimmer ein. Zu einer Wegnahme kam es nicht mehr, da dort schon Kriminalbeamte auf ihn warteten.

Das Landgericht hat den Angeklagten in den ersten zwei Fällen wegen Wohnungs­einbruchsdiebstahls gemäß §§ 242 I, 244 I Nr. 3 StGB verurteilt. Den dritten Fall hat das Landgericht als besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß §§ 242 I, 243 I 2 Nr. 1, 3 StGB gewürdigt. Den vierten Fall hat es als versuchten Wohnungs­einbruchsdiebstahl nach §§ 242 I, 244 I Nr. 3, II, 22, 23 I StGB gewertet.

Aus den Gründen:

Die Immobilien erfüllen die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals der Wohnung, obwohl die Häuser zu dem Zeitpunkt der einzelnen Taten seit dem Tod der jeweils einzigen Bewohner unbewohnt waren.

„Wohnungen sind abgeschlossene und überdachte Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unter­kunft dienen (st. Rspr (...)).“ Diese Voraussetzungen liegen nach Ansicht des BGH bei den Einbruchsobjekten in den vorliegenden Fällen vor. „Die Häuser waren jeweils eingerichtet und als Wohnstätte voll funktions­tüchtig. Dadurch, dass ihre ehemaligen Bewohner nicht (mehr) in ihnen lebten, verloren sie die Eigenschaft als Wohnung im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht.“ (Rn. 15)

Dafür spräche zunächst der Wortlaut der Vorschrift: „Der Begriff ‚Wohnung‘ bezeichnet eine für die private Lebens­führung geeignete und in sich ab-geschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen (...). Nach dem allgemeinen Sprach­gebrauch ist somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. Dem entspricht es etwa, dass Wohnmobile und Wohnwagen tatbestandlich von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB unabhängig davon erfasst sind, ob sie zur Tatzeit zum Wohnen genutzt werden.“ (Rn. 16)

„Diese Betrachtungs­weise erfährt ihre Bestätigung in der Gesetzes­systematik. Das Strafgesetzbuch sieht bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB über den Wohnungs­einbruch im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungs­einbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstanden wissen will. Die sprach­liche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.“ (Rn. 17)

„Den Begriff der Wohnung gebraucht das Gesetz darüber hinaus in § 123 Abs. 1 StGB, § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Den ersten beiden Normen ist gemein, dass auch sie eine tatsächliche Bewohnung der Unter­kunft zur Tatzeit nicht voraussetzen (...). Für § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB gilt deshalb etwas anderes, weil der Wortlaut dieser Vorschrift es erfordert, dass die in Brand gesetzte Räumlichkeit ‚der Wohnung von Menschen dient‘. Daraus folgt, dass das Brandobjekt zur Tatzeit tatsächlich bewohnt sein muss. Dies ist nicht der Fall, wenn der einzige Bewohner gestorben ist (...). Wegen des unter­schiedlichen Wortlauts von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB und § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB und des differierenden Schutz­zwecks der Vorschriften sind diese Grundsätze jedoch nicht auf den Wohnungs­einbruchdiebstahl übertragbar.“ (Rn. 18)

Schließlich sei nach dem Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB geboten, die unbewohnten Häuser jedenfalls bis zu ihrer Entwidmung als Wohnstätte unter den Begriff der Wohnung zu fassen: „Die Vorschrift soll das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechts­güter können auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern.“ (Rn. 19)

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