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BGH, Beschluss v. 17.12.2020 – 3 StR 403/19: Zu den Vermögensbetreuungs­pflichten (§ 266 Abs. 1 StGB)

Sachverhalt (Rz. 2–9)

Der Angeklagte B. war seit dem Jahr 2000 Werkleiter des von der Stadt als Eigenbetrieb organisierten Krankenhauses. Sein Vorgesetzter war der Angeklagte M. als Oberbürgermeister der Stadt. Im Jahr 2003 entschied die Stadt , den Betrieb des Krankenhauses auf eine gemeinnützige GmbH auszugliedern. In Umsetzung der Umstrukturierung wurde der B. zu deren Geschäftsführer bestellt. Der mit Wirkung zum 1. Januar 2004 zwischen der R. gGmbH und dem Angeklagten B. geschlossene Geschäftsführeranstellungs­vertrag war bis zum 31. März 2017 befristet und nur aus wichtigem Grund kündbar. In dem Geschäftsführeranstellungs­vertrag war vereinbart, dass ihm für die Zeit des Ruhestands ein Anspruch auf Ruhegehalt gegenüber der R. gGmbH zusteht.

Am 29. September 2010 äußerte der Angeklagte B. gegenüber der Gesellschaft­erversammlung der R. gGmbH seinen Wunsch, als Geschäftsführer vorzeitig in den Ruhestand zu treten. Er versuchte die Angeklagten M. und A. dazu zu bewegen, sich für den Abschluss eines Änderungs­vertrags zum Geschäftsführeranstellungs­vertrag einzusetzen. Spätestens seit dem 4. Februar 2011 war der Angeklagte B. an Krebs erkrankt. Am 6. Juli 2011 fand eine Gesellschaft­erversammlung der R. gGmbH statt, in der die Angeklagten M. , A. , W. und E. gegen die Stimmen der drei anderen Mitglieder einer dem Änderungs­vertrags zustimmten. Der Vertrag sah eine Beendigung des aktiven Dienst­verhältnisses zwischen der R. gGmbH und dem Angeklagten B. mit Ablauf des 31. März 2014 sowie seine vorherige Freistellung und Abberufung als Geschäftsführer zum 1. Oktober 2011 vor.

Fraglich ist, ob die Angeklagten M. , A. , E. und W. durch ihre Zustimmung ihre Vermögensbetreuungs­pflicht gegenüber der R. gGmbH im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB verletzt und ihr dadurch einen Vermögensnachteil zugefügt haben und der B. zu dieser Tat angestiftet hat.

Die Vermögensbetreuungs­pflicht, § 266 Abs. 1 StGB

Die Strafkammer hat die Verletzung der Vermögensbetreuungs­pflicht darin gesehen, dass die im Änderungs­vertrag getroffenen Regelungen über die Freistellung und Abberufung des Angeklagten B. als Geschäftsführer sowie über die Vorverlegung seines Ruhestands nicht durch die Verfolgung legitimer öffentlicher Aufgaben gerechtfertigt gewesen seien und der R. gGmbH keinen zukunftsbezogenen Nutzen gebracht hätten. Darüber hinaus hätten die angeklagten Mitglieder der Gesellschaft­erversammlung keine Alternativen zum Änderungs­vertrag mit gegebenenfalls niedrigeren Folgekosten, namentlich dessen außerordentliche Kündigung, in den Blick genommen. (Rz.10)

Die Angeklagten waren verpflichtet, als Mitglieder der Gesellschafts­versammlung die Vermögensinteressen der R. gGmbH wahrzunehmen. Dies ergibt sich aus der zur Tatzeit gültigen Niedersächsischen Gemeindeordnung (§ 111 Abs. 1 Satz 2 NGO). Die Vornahme unwirtschaft­licher Geschäfte, zu der die Gesamtheit der Gesellschafter von Kapital­gesellschaften nach gesellschafts­rechtlichen Grundsätzen prinzipiell berechtigt sind war ihnen daher verwehrt. Das Sparsamkeits­gebot, wonach der Staat nichts „verschenken“ darf, stellt ein allgemeines Prinzip der Haushalts­führung für den gesamten öffentlichen Bereich dar. (Rz. 13–19)

Eine Pflichtverletzung nach § 266 Abs. 1 StGB liegt erst vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungs­bewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmens­wohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungs­grundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind und die Bereitschaft, unternehmerisches Risiko einzugehen in un­verantwortlicher Weise überspannt wird. Innerhalb dieses Begrenzungs­rahmens steht dem Vermögensbetreuungs­pflichtigen ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. (Rz. 22)

Aus dem Sparsamkeits­gebot ergibt sich nichts anderes. In ihm findet ebenfalls der äußere Begrenzungs­rahmen des dem Unternehmer eingeräumten weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraums Ausdruck. (s. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 – 4 StR 561/17 [für die privatwirtschaft­lich betriebene GmbH]; ferner BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 5 StR 366/19 [für den Bereich der öffentlichen Verwaltung]). 50 [für die privatwirtschaft­lich betriebene GmbH]; ferner BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 5 StR 366/19, BGHSt 64, 246 Rn. 17 [für den Bereich der öffentlichen Verwaltung]). Eine im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB pflichtwidrige Verletzung dieses Gebots liegt regelmäßig erst dann vor, wenn eine sachlich nicht mehr zu rechtfertigende und damit -ersichtlich- unangemessene Gegenleistung gewährt wird (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 – 4 StR 561/17). (Rz. 26)

Das Nichterwägen einer Handlungs­alternative kann grundsätzlich nur dann zu einer Verletzung der Vermögensbetreuungs­pflicht führen, wenn es sich als für das Vermögen des Geschäftsherrn voraussichtlich vorteilhaft erwiesen hätte, sie zu ergreifen. (Rz. 36)

Subsumtion

Die Angeklagten haben somit nicht ihre Vermögensbetreuungs­pflichten verletzt. Dies gilt sowohl für die Zustimmung zum Änderungs­vertrag als auch für das Nichtergreifen der vom Landgericht angeführten Handlungs­alternativen. Die Zustimmung war nicht pflichtwidrig. Bei dem Angeklagten B. handelte es sich um einen aufgrund seiner Krebserkrankung nur noch eingeschränkt leistungs­bereiten und – fähigen Beschäftigten. Der B. war bis zum 29. Juli 2011 arbeits­un­fähig und ab Juli 2011 zu 100 % schwerbehindert. Unter Berücksichtigung dessen ist es jedenfalls nicht ohne weiteres Sachwerte, das Dienst­verhältnis unter Reduzierung der Gesamtbezüge vorzeitig zu beenden. (Rz. 27, 33)

Dass die Mitglieder der Gesellschafts­versammlung es unterließen, einen Beschluss über eine außerordentliche Kündigung des B. herbeizuführen ist ebenfalls nicht pflichtwidrig, da bei der außerordentlichen Kündigung eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist. Es ist nicht feststellbar, ob und in welchem Ausmaß die Kündigung für die R. gGmbH vorteilhafter gewesen wäre. (Rz. 35)

Aufgrund der lückenhaften Feststellungen zur Haupttat ist auch die Verurteilung des B. wegen Anstiftung rechts­fehlerhaft. (Rz. 39)

Das Urteil ist im gesamten Schuld- und Strafausspruch aufzuheben.