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BGH, Beschl. v. 03.03.2021 – 4 StR 338/20:Zur Wegnahme i.S.d. § 242 StGB bei Abhebevorgängen an Geldautomaten

Leitsatz: Zum Gewahrsam des Bankkunden am Bargeld im Ausgabefach eines Geldautomaten, wenn er den Auszahlungs­vorgang durch Einführen seiner Karte und Eingabe der zugehörigen PIN-Nummer ausgelöst hat.

Sachverhalt:
Die Angekl. L und B stellten sich in mehreren Fällen jeweils neben die Geschädigten, als diese ihre EC-Karte in einen Geldautomaten eingeführt und ihre PIN-Nummer eingegeben haben, um Bargeld abzuheben. L und B verdeckten das Bedienungs­feld mit Zeitungen und gaben als auszuzahlende Summe jeweils Geldbeträge von 500 € bis 800 € ein. Sie entnahmen das ausgegebene Bargeld und entfernten sich. In einem der Fälle bedrängten sie die Geschädigte durch Schubsen, woraufhin sie erfolglos versuchte, den Vorgang abzubrechen.

Das Landgericht hat L und B wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in fünf Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung verurteilt. Die Wertung der Tat als Diebstahl wurde von dem BGH bestätigt.

Aus den Gründen:

Zurecht hat das LG eine Wegnahme durch die Angeklagten angenommen. „Wegnahme im Sinne des § 242 StGB ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Ein Bruch fremden Gewahrsams liegt vor, wenn der Gewahrsam gegen oder ohne den Willen des Inhabers aufgehoben wird.“ (Rn. 5)
Umstritten ist jedoch, ob die Entgegennahme von Bargeld, das durch einen Geldautomat nach äußerlich ordnungs­gemäßer Bedienung ausgegeben wird, den Bruch des fortbestehenden gelockerten Gewahrsams des Geldautomatenbetreibers bewirkt, indem angenommen wird, dass nach dem mutmaßlichen Willen des Geldinstituts der Gewahrsam nur an denjenigen übertragen werden sollte, der den Geldautomaten zuvor durch Eingabe der Karte und der PIN-Nummer ordnungs­gemäß bedient hatte, oder ob es sich bei der Ausgabe des Geldes um eine willentliche Gewahrsamsaufgabe handelt. Auch innerhalb der Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs wurde diese Frage uneinheitlich beantwortet. Im vorliegenden Fall muss sie jedoch nicht entschieden werden, da in allen Fällen im Zeitpunkt der Geldentnahme durch L und B bereits (Mit-)Gewahrsam der Geschädigten an dem Geld begründet worden war. Jedenfalls diesen Gewahrsam haben die Angeklagten gebrochen.
„Gewahrsam ist die von einem Herrschafts­willen getragene Sachherrschaft. Diese liegt vor, wenn jemand auf eine Sache unter normalen Umständen einwirken kann und seiner Herrschaft keine Hindernisse entgegenstehen. Wer die tatsächliche Sachherrschaft innehat, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Anschauungen des täglichen Lebens“. (Rn. 8)
Ob Gewahrsam als ein „faktisches Herrschafts­verhältnis“ über eine Sache besteht, richtet sich auch nach bestehenden Regeln der sozialen Anschauung, welche die Sache einer bestimmten Person zuschreiben. Auch der Herrschafts­wille wird durch die Verkehrs­anschauung geprägt. Ein genereller oder potentieller Beherrschungs­wille sowie ein antizipierter Erlangungs­wille reichen dafür aus.
Nach der Verkehrs­auffassung befindet sich das Bargeld mit der Bereitstellung im Ausgabefach und der dadurch gewährten Zugriffs­möglichkeit regelmäßig (auch) im Gewahrsam des am Geldautomaten tätigen Kunden. Dies wird auch dadurch deutlich, dass es sozial üblich ist und erwartet wird, dass Dritte beim Abhebevorgang durch den Kunden Abstand zu halten haben. Der Herrschafts­wille des Karteninhabers besteht jedenfalls in Form eines antizipierten Beherrschungs­willens, der sich – jedenfalls, wenn der Nutzer auch der Karteninhaber ist – auf das gesamte ausgegebene Bargeld erstreckt. Die Eingabe des Betrages durch die beiden Angeklagten lässt den Herrschafts­willen nicht entfallen. Auch das heimliche Ansichnehmen des Bargelds durch die Täter ändert nichts an dem Willen des Karteninhabers, an dem ausgegebenen Geldbetrag Sachherrschaft auszuüben.

Indem die Angeklagten das Bargeld aus dem Geldautomaten entnahmen, haben sie den Gewahrsam des geschädigten Karteninhabers gebrochen.
 

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