Sachverhalt (Rn. 2–7)
Der Angeklagte S. war Eigentümer eines Motorrades mit einer Leistung von 100 kW; der Mitangeklagte R. verfügte über einen Pkw mit einer Leistung von 400 PS und einem speziellen Sportfahrwerk. Am 14. Juli 2018 trafen sich beide, um mit ihren Fahrzeugen gemeinsam einen Straßenabschnitt zu befahren, der durch ein abwechslungsreiches Gefälle und einen großen Kurvenreichtum gekennzeichnet ist. Beide Angeklagte kamen überein, gemeinsam zwei „Durchgänge“ zu fahren, bei denen dieser Straßenabschnitt jeweils in beide Richtungen (Berg- und Talfahrt) befahren werden sollte. Bei dem ersten „Durchgang“ sollte der Angeklagte mit seinem Motorrad als Führungsfahrzeug vorausfahren und der Mitangeklagte mit seinem Fahrzeug nachfolgen. Der zweite „Durchgang“ sollte in umgekehrter Reihenfolge stattfinden. Ein gegenseitiges Überholen sollte ausgeschlossen sein. Den Angeklagten kam es bei den im Verbund durchzuführenden gemeinsamen Fahrten darauf an, ihre Fahrzeuge auf der anspruchsvollen Strecke in ihrem Fahr- und Beschleunigungsverhalten, insbesondere in Kurven und aus Kurven heraus, zu testen und miteinander zu vergleichen. Zu diesem Zweck sollte das nachfolgende Fahrzeug dicht an dem jeweiligen Führungsfahrzeug bleiben, das die Geschwindigkeit vorgeben sollte. Dabei ging es den Angeklagten darum, gemeinsam möglichst hohe Geschwindigkeiten zu erzielen.
Bei dem zweiten „Durchgang“ übernahm der Mitangeklagte mit seinem PKW die Führungsrolle. Als er an einer Einmündung auf die Überholspur wechselte kam es fast zu einer Kollision mit einem Fahrer eines einbiegenden Fahrzeugs. anderem Fahrer. Der mit seinem Motorrad nachfolgende Angeklagte nahm diese Situation als gefährlich wahr. Er sah die Möglichkeit, dass sich der Mitangeklagte im weiteren Verlauf des zweiten „Durchgangs“ zu riskanten Überholmanövern und hohen Geschwindigkeiten, insbesondere in Kurven veranlasst sehen würde, um seiner Rolle als Führungsfahrzeug gerecht zu werden. Hiermit fand er sich ab. Er vertraute darauf, dass es nicht zu Kollisionen kommen würde.
Bei der Talfahrt des zweiten „Durchgangs“ fuhr der Mitangeklagte mit überhöhter Geschwindigkeit in die Rechtskurve ein, in der er schon im ersten „Durchgang“ die rechte Fahrspur nicht zu halten vermochte. Es kam zu einer Streifkollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug und einer Frontalkollision mit einem weiteren Fahrzeug. Der Fahrer des zweiten Fahrzeugs wurde dadurch getötet; sein mitfahrender Sohn schwer verletzt. Er ist seitdem zu 100 % behindert. Zwei der drei Insassen des ersten Fahrzeugs erlitten ebenfalls Verletzungen. Der Angeklagte erreichte erst wenige Sekunden nach der Kollision die Unfallstelle.
Dem Angeklagten war bei Antritt der Rückfahrt im zweiten „Durchgang“ bekannt, dass ihnen andere Verkehrsteilnehmer mit ihren Fahrzeugen entgegenkommen könnten. Dass es im Fall einer Kollision mit dem Gegenverkehr zu schweren Verletzungen oder zum Tod der Insassen dieser Fahrzeuge kommen könnte, war für ihn vorhersehbar. Der Angeklagte hätte die Kollisionen vermeiden können, wenn er vor Antritt der zweiten Talfahrt dem Mitangeklagten unmissverständlich zu verstehen gegeben hätte, dass man von der gemeinsamen Zielsetzung, Fahrten mit möglichst hohen Geschwindigkeiten durchzuführen, Abstand nehmen und sich wieder an die Regeln des Straßenverkehrs halten solle.
Das LG hat die Tat als Teilnahme an einem unerlaubten Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge und schwerer Gesundheitsbeschädigung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort gewertet. (Rn. 1)
Der BGH sieht die Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge und schwerer Gesundheitsschädigung gemäß § 315d I Nr. 2, II, V Alt. 1 und 2 StGB als rechtsfehlerhaft an. (Rn. 11) Der BGH wertet die Tat als verbotenes Kraftfahrzeugrennen in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in drei Fällen sowie unerlaubtes Entfernen vom Unfallort.
(Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revisionen der Nebenkläger, mit denen sie eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts bzw. Körperverletzung mit Todesfolge anstreben, blieb erfolglos. (Rn. 8))
Aus den Gründen
Das LG sei „zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte zusammen mit dem Mitangeklagten an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d I Nr. 2 StGB teilnahm.“ (Rn. 11)
„Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten (…). Die besondere Gefährlichkeit von Kraftfahrzeugrennen in all diesen Konstellationen liegt darin, dass es zwischen den konkurrierenden Kraftfahrzeugführern zu einem Kräftemessen im Sinne eines Übertreffenwollens gerade in Bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit kommt. Gerade diese Verknüpfung trägt die Gefahr in sich, dass dabei die Fahr- und Verkehrssicherheit außer Acht gelassen, der Verlust von Kontrolle in Kauf genommen und die Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Konkurrenten gerichtet wird (…).“ (Rn 12)
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Angeklagte und der Mitangeklagte wollten ihre Fahrzeuge miteinander vergleichen und damit in Bezug hierauf zueinander in Konkurrenz treten. Die Durchführung von zwei Durchgängen mit wechselnder Rollenverteilung, wobei Das jeweils nachfolgende Fahrzeug dicht an dem die Geschwindigkeit vorgebenden Führungsfahrzeugs bleiben sollte, führt zu einem Kräftemessen im Sinne eines Übertreffenswollens in Bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit. Der Verlust von Kontrolle wurde in Kauf genommen und die Aufmerksamkeit war auf das Verhalten des Konkurrenten gerichtet. (Rn. 14)
Ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht, „wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Indi-vidualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht.“ (Rn. 15) „Eine mittäterschaftliche Zurechnung des Rennverhaltens der anderen Rennteilnehmer und sich allein daraus ergebender konkreter Gefahren scheidet aus. Allerdings kann eine Nebentäterschaft vorliegen, wenn ein und derselbe Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Dies setzt aber voraus, dass sich die Rennteilnehmer in derselben Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.“ (Rn. 15)
Die Strafkammer hatte angenommen, „dass der Angeklagte als „mittelbarer Verursacher“ für die eingetretenen objektiven Gefährdungserfolge einstehen müsse, weil er durch die mit dem Mitangeklagten vorab getroffene Rennabrede und deren Umsetzung bei den nachfolgenden Fahrten eine Ursache hierfür gesetzt habe. Da sich der Mitangeklagte als Lenker des Führungsfahrzeugs im zweiten „Durchgang“ an den Tempovorgaben des Angeklagten im ersten „Durchgang“ orientiert habe, habe die von ihm im ersten „Durchgang“ an den Tag gelegte Fahrweise bis zum Eintritt der beiden Kollisionen im zweiten „Durchgang“ fortgewirkt.“ (Rn. 17)
Die Beteiligung an der Rennabrede „reicht dafür schon deshalb nicht aus, weil darin noch kein Fahrverhalten im Sinne dieser Vorschrift liegt.“ (Rn. 18) „Das dem Angeklagten darüber hinaus angelastete Verhalten als Fahrzeugführer während des ersten „Durchgangs“ fand in einer anderen Rennsituation statt und kommt deshalb als Tathandlung des Qualifikationstatbestands ebenfalls nicht in Betracht. Dass der Angeklagte – worauf es allein ankommt – auch in der konkreten riskanten Rennsituation durch sein eigenes Fahrverhalten einen Verursachungsbeitrag zu der von dem Mitangeklagten herbeigeführten Kollision mit den Fahrzeugen der Geschädigten leistete, kann den Urteilsgründen dagegen nicht entnommen werden. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er den Mitangeklagten vor dessen Einfahrt in die Kurve durch ein bedrängendes Auffahren angetrieben hat. Vielmehr erreichte er die Unfallstelle nach den Feststellungen erst „wenige Sekunden nach der Kollision“.“ (Rn. 18)
Der Angeklagte hat nicht den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 StGB verwirklicht (Rn. 16), sodass es „für die Annahme der hieran anknüpfenden Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB (…) bereits an der Grundlage fehlt.“ (Rn. 15) Der Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen § 315d Abs. 2 und 5 StGB verlangt, „dass sich im qualifizierenden Erfolg auch gerade der vorsätzlich herbeigeführte konkrete Gefahrerfolg niederschlägt (…). Dies ist aber in Bezug auf die Erfolgsqualifikation des Todes eines anderen Menschen gemäß § 315d Abs. 5 Var. 1 StGB nur dann der Fall, wenn der Täter bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB auch im Hinblick auf die Gefährdung des Lebens anderer Menschen vorsätzlich gehandelt hat. Die Erfolgsqualifikationen der schweren Gesundheitsbeschädigung und der Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen (§ 315d Abs. 5 Alt. 2 und 3 StGB) kommen danach nur dann in Betracht, wenn ein Vorsatz wenigstens in Bezug auf die Herbeiführung einer Leibesgefahr im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB festgestellt ist.“ (Rn. 19) Hier handelt der Angeklagte bei der Verwirklichung des § 315d Abs. 2 StGB nur in Bezug auf die Gefährdung von fremden Sachen von bedeutendem Wert, nicht aber hinsichtlich der Gefährdung von Leib und Leben anderer Menschen.
„Der Wegfall der Verurteilung nach § 315d Abs. 2 und 5 StGB hat zur Folge, dass die durch die von der Strafkammer angenommenen Tatbestandsvarianten Tod eines anderen Menschen und schwere Gesundheitsbeschädigung eines anderen Menschen verdrängten Tatbestände der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) und der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) zum Nachteil der Insassen des zweiten Fahrzeugs in den Schuldspruch aufzunehmen sind.“ (Rn. 21) Bereits seine Rennteilnahme verstieß gegen § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB und war damit objektiv pflichtwidrig. Diese Pflichtverletzung verursachte den Tod und die schweren Verletzungen der beiden Insassen. Bereits die Durchführung des Rennens war hierfür kausal. (Rn. 21)
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