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BGH, Beschl. v. 10.02.2021 – 1 StR 478/20: Zur lebens­gefährdenden Behandlung i.S.d. § 224 I Nr. 5 StGB bei einem Angriff mit einer Rasierklinge

Sachverhalt:

A und B waren in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert. Am 05. Mai 2019 stritten sie sich im Rahmen eines länger schwelenden Konfliktes während des morgendlichen Hofgangs, als A plötzlich aus seiner Jacke eine ausgebaute Klinge eines Einwegrasierers zog und diese, zwischen zwei Fingern haltend, schnell mit seiner rechten Hand seitlich gegen den Gesichts- und Hals­bereich des B führte, um ihn dort zu verletzen. B konnte dies durch eine Abwehrbewegung mit seinem Arm verhindern und zog sich lediglich eine oberflächliche Hautritzung am kleinen Finger zu. A hielt es zumindest für möglich und nahm es billigend in Kauf, dass er B lebens­gefährlich verletzen könnte.

Das LG geht davon aus, dass A die beiden Tatvarianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB verwirklicht hat.

Der BGH rügt, dass die vom LG getroffenen Feststellungen eine Verurteilung des A nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB durch eine das Leben gefährdende Behandlung nicht tragen.

Aus den Gründen:

Zwar muss die Tathandlung nicht zu einer tatsächlichen Lebens­gefahr führen, jedoch „muss die jeweilige Ein­wirkung durch den Täter nach den konkreten Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden.“ (Rn.9)

Durch die Feststellungen des LG, dass Ziel des Angriffs der Gesichts- und Hals­bereich war, ist zwar die bloße Möglichkeit einer lebens­gefährdenden Behandlung angesprochen, die abstrakte Lebens­gefährlichkeit der eigentlichen Tathandlung mit der Art des eingesetzten Tatmittels aber im konkreten Fall nicht belegt. Das LG weist neben der Feststellung der Verwendung einer ausgebauten Klinge eines Einwegrasierers und dem Halten der Klinge zwischen zwei Fingern nur darauf hin, dass eine solche Klinge in Augenschein genommen worden ist und man die an den Seiten noch eine Plastikhalterung aufweisende Klinge gut anfassen und als Angriffsmittel einsetzen kann. Weitere Feststellungen zur Art und konkreten Beschaffenheit der Klinge und damit zu ihrer konkreten Schädlichkeit zur Begründung einer das Leben gefährdenden Behandlung finden sich nicht. Daher bleibt offen, ob der Einsatz einer solchen Rasierklinge, „die nach Art und Größe nicht mit einer herkömmlichen Rasierklinge vergleichbar ist und regelmäßig nur eine Breite von wenigen Millimetern hat, bereits für sich eine lebens­gefährdende Behandlung begründen kann“ und wie eine solche Klinge beim konkreten Einsatz geeignet ist, über bloße Hautritzungen hinaus eine das Leben gefährdende Behandlung zu verursachen. Solche Feststellungen wären aber nötig gewesen, da B nur eine oberflächliche Hautritzung erlitt. (Rn. 11)

Daraus folgt, dass auch die Annahme des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB in Frage gestellt werden muss. „Diese Tatbestandsalternative des Einsatzes eines gefährlichen Werkzeugs setzt auch voraus, dass das Tatmittel nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet sein muss, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen.“ Daher sind auch hier konkrete Feststellungen zur Art des verwendeten Tatmittels erforderlich. (Rn. 12)

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