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BGH, Beschl. v. 29.04.2021 – 4 StR 165/20:Zum subjektiven Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB

Sachverhalt:

A war nachts mit seinem PKW im Stadtgebiet K unter­wegs. Als er in die Straße in Richtung Innenstadt einbog, nahmen zwei Polizeibeamte die Verfolgung des A auf, um ihn einer allgemeinen Verkehrs­kontrolle zu unter­ziehen. Auf der K. Straße gilt zunächst eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, ehe sich nach ca. 550 Meter ein etwa 300 Meter langer Straßenabschnitt mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h anschließt.

Als A den Einsatzwagen bemerkte, beschleunigte er seinen PKW Golf GTI mit Vollgas, um sich der drohenden Verkehrs­kontrolle zu entziehen. Er machte sich weder um andere Verkehrs­teilnehmer noch um mögliche Gefahren Gedanken. Mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h durchfuhr er den Straßenabschnitt mit der angeordneten Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h. Ziel des A war es, dem Streifenwagen zu entkommen. Dieses Ziel war nach seiner Vorstellung nur durch Wegfahren mit der im konkreten Fall höchstmöglichen Geschwindigkeit zu erreichen.

Obwohl die Polizisten ebenfalls ihr Fahrzeug maximal beschleunigten, verloren sie schließlich A aus den Augen. Dieser setzte die Fahrt mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch die sich anschließende Fußgängerzone fort, weil er sich dort sie besten Erfolgsaussichten für sein Fluchtvorhaben versprach. Er durchquerte er eine ebenfalls als Fußgängerzone ausgewiesene 8 bis 9 Meter schmale G.Straße, die wegen einer leichten Rechts­kurve schlecht einsehbar ist. A durchfuhr die Kurve und fuhr maximal beschleunigend auf eine an der linken Straßenseite befindlichen Baustelle zu, die die Straßenbreite auf 4,12 Metern verengte. Zwischen dem Ende der Baustelle und der nachfolgenden Kreuzung standen drei Personen vor einer auf der rechten Straßenseite liegenden Gaststätte. A erkannte die Personen aus etwa 40 bis 50 Meter Entfernung. Da er seine Flucht vor der Polizei weiter fortsetzen wollte, bremste er nicht ab und fuhr – auf deren Ausweichen vertrauend – mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h auf diese zu. Die Personen konnten gerade noch ausweichen, A passierte diese mit einem Abstand von 30 cm mit unverminderter Geschwindigkeit. Er hätte die konkrete Gefahr einer Kollision mit entsprechenden Verletzungen bei dieser Fahrweise erkennen können und müssen.

Das LG verurteilte A wegen verbotenem Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB. Nach der Ansicht des BGH hält dies einer rechtlichen Prüfung nur teilweise stand. 

Aus den Gründen:

In objektiver Hinsicht verlangt § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ein Sich-Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit, das sich im konkreten Einzelfall als grob verkehrs­widrig und rücksichtslos darstellt. „Die grobe Verkehrs­widrigkeit des Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit kann sich allein aus der besonderen Massivität des Geschwindigkeits­verstoßes oder aus begleitenden anderweitigen Verkehrs­verstößen ergeben, die in einem inneren Zusammenhang mit der nicht angepassten Geschwindigkeit stehen. Die Tathandlung muss ferner im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht des Täters getragen sein, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die unter den konkreten situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen.“ (Rn. 8) Diese Absicht muss weder Hauptmotiv noch Endziel sein. Es genügt, wenn das Erreichen der höchstmöglichen Geschwindigkeit notwendiges Zwischenziel zur Erreichung eines weiteren Ziels des Täters ist. Auch Polizeifluchtfälle werden von der Straf­vorschrift erfasst, wenn es dem Täter darauf ankommt, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht unbeachtliche Wegstrecke die maximale Geschwindigkeit zu erreichen. Allerdings kann aus der Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht zur Erreichung der situativ höchstmöglichen Geschwindigkeit geschlossen werden (Rn. 9)

Der Angeklagte hat sich durch sein das maximale Beschleunigen zu Beginn der Fahrflucht in der K.Straße nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht.

Bezüglich des Abschnitts der Fluchtfahrt in der G.Straße liegen keine ausreichenden Feststellungen bezüglich des Vorliegens des Absichtsmerkmals des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vor. Das Landgericht hat das Vorliegen der Absicht mit der durchgängig vorhandene Fluchtmotivation des A und dessen maximaler Beschleunigung zu Beginn der Fluchtfahrt in der K.Straße begründet. Es hat nicht berücksichtigt, dass A die Rechts­kurve mit maximal 51 km/h durchfahren konnte und ihm anschließend bis zur Position der Personen eine Beschleunigungs­strecke zur Verfügung stand, die ihm eine maximale Geschwindigkeit von 110 km/h ermöglicht hätte. A fuhr allerdings nur mit 60 km/h an den Personen vorbei. Zudem hätte berücksichtigt werden müssen, dass A in der G.Straße keinem unmittelbaren Verfolgungs­gdruck mehr ausgesetzt war, da er das Polizeifahrzeug zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschüttelt hatte. Damit entfällt auch die Qualifikations­norm des § 315d Abs. 4 StGB (Rn. 10–14)