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BGH, Urt. v. 21.1.2021 – 4 StR 337/20: Zum Merkmal der Heimtücke bei Ausnutzen der Arglosigkeit im Vorbreitungs­stadium

Sachverhalt:

A und B waren seit 1974 verheiratet. In den Jahren 2013 bis 2017 trennte sich B mehrfach von A, kehrte aber jeweils nach einiger Zeit zu ihm zurück. Im Dezember 2018 zog B für eine neue Trennung aus der gemeinsamen Wohnung aus, besuchte A aber nahezu täglich. A, der sehr unter der Trennung litt, beschloss am 4. März 2019 endgültig klare Verhältnisse zu schaffen und wollte unmissverständlich klären, ob B bereit sei, zu ihm zurückzukehren. Falls nicht beabsichtigte er, sie zu erschießen. Hierzu begab er sich am gleichen Tag in seine Garage, um zwei seiner drei Schusswaffen zu holen, die er anschließend in einer Schublade der im Wohnungs­flur stehenden Kommode zu deponieren, um sie bei Bedarf zur Hand zu haben.

A und B hatten sich am 6. März 2019 für den Abend in der Wohnung des A verabredet. A sah voraus, dass es dabei zu der entscheidenden Konfrontation kommen werde und stand weiter zu seinem Tatentschluss.

Am Abend traf B bei A ein. B teilte A mit, dass sie nicht vorhabe die eheliche Gemeinschaft wiederherzustellen, woraufhin es zu einem Streitgespräch kam. Als B zu erkennen gab, dass sie gehen wolle, entschloss A sich dazu, sie zu erschießen. A begab sich daraufhin zur Kommode in den Flur, entnahm die beiden Waffen und kehrte ins Wohnzimmer zurück. B, die nicht ausschließbar zu ahnen begonnen hatte, dass A ihr Gewalt antun werde, wollte die Wohnung verlassen und kam ihm im Bereich der Wohnzimmertür entgegen. Zugunsten des Angeklagten ist das LG davon ausgegangen, dass B in dieser Situation noch die Möglichkeit hatte, A mit einer kurzen Bemerkung umzustimmen.

A hielt B daraufhin eine der beiden Pistolen aus kurzem Abstand vor die Stirn und drückte ab, wobei der Schuss nicht tödlich war. Anschließend drückte A ein weiteres Mal aus etwas größerem Abstand ab, wobei er B tödlich in den Hinterkopf traf.

Das LG hat die Tat als tateinheitlich begangenen Totschlag gem. § 212 Abs. 1 StGB gewertet. Das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke hat es verneint, weil es auf der Grundlage des festgestellten nicht ausschließbaren Tatgeschehens sowohl an der Arg- als auch an der Wehrlosigkeit des Tatopfers gefehlt habe. Zudem sei dem Angeklagten das in subjektiver Hinsicht erforderliche, auf die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bezogene Ausnutzungs­bewusstsein bei Tatbegehung nicht nachzuweisen. (Rn. 9)

Der BGH sieht die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke als rechts­fehlerhaft an.

Aus den Gründen:

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungs­vorsatz geführten Angriffs. Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. In der Rechts­prechung des BGH ist es anerkannt, „dass bei einer (…) geplanten und vorbereiteten Tat das heimtückische Vorgehen auch gerade in den Vorkehrungen liegen kann, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Ausführung der Tat noch fortwirken.“ Ausreichend ist, „dass der Täter das Tatopfer im Vorbereitungs­stadium unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeit in eine Lage aufgehobener oder stark eingeschränkter Abwehr­möglichkeiten bringt und die so geschaffene Lage bis zur Tatausführung un­unterbrochen fortbesteht.“ Ob das Opfer zu Beginn des Tötungs­angriffs noch arglos war, ist dabei ohne Bedeutung. (Rn. 13)

Für das in subjektiver Hinsicht erforderliche Ausutzungs­bewusstsein genügt es, dass der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände in dem Sinne erfasst hat, „dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungs­losigkeit gegenüber dem Angriff schutz­losen Menschen zu überraschen.“ (Rn. 14)

Das LG hat bei der Ablehnung der Arglosigkeit mit dem Argument, dass B vor Abgabe des ersten Schusses möglicherweise mit einem gewalttätigen Vorgehen des A rechnete, übersehen, dass es der Annahme der Arglosigkeit in solchen Fällen, in denen der mit Tötungs­vorsatz handelnde Täter das Opfer planmäßig in eine bis zur Tatbegehung fortbestehende Lage zumindest stark eingeschränkter Abwehr­möglichkeiten bringt, nicht entgegensteht, wenn das Opfer die ihm drohende Gefahr noch vor Beginn des eigentlichen Tötungs­angriffs erkennt.

Das LG hätte sich daher näher mit der Frage befassen müssen, ob der bereits am 4. März 2019 gefasste Tatplan des A darauf abzielte, die ihn ahnungs­los in seiner Wohnung aufsuchende B im Falle des Scheiterns seiner Umstimmungs­versuche noch in der Wohnung unter Ausnutzung ihrer wehrlosen Lage mit den bereitgelegten Schusswaffen zu töten. Ein solcher Tatplan liegt angesichts dessen, dass A die beiden Waffen in Erwartung der Konfrontation mit B in seiner Kommode im Flur deponierte und der Feststellung des LG, dass A am Tattag vor dem Treffen an seinem Tatentschluss festhielt, nicht fern. (Rn. 16)

Auch bei der Prüfung, ob A die Arg- und Wehrlosigkeit der B bewusst zur Tötung ausnutzte, hätte das LG in seine Überlegungen mit einbeziehen müssen, ob der Tatplan des A gerade dahin ging, die ihn ahnungs­los aufsuchende B unter Ausnutzung ihrer wehrlosen Situation zu töten. (Rn. 17)

Zudem bestehen rechtliche Bedenken hinsichtlich der Begründung der Verneinung der Wehrlosigkeit unter der Annahme, B habe bei dem Zusammentreffen mit A im Bereich der Wohnzimmertür vor dem ersten Schuss noch die Möglichkeit gehabt, A durch eine kurze Bemerkung umzustimmen.

„Einen der revisionsgerichtlichen Kontrolle unterliegenden Rechts­fehler weist eine Beweiswürdigung unter anderem dann auf, wenn der Tatrichter an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen stellt, indem er mit Blick auf den Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten von Annahmen ausgeht, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat.“

Die in dem angefochtenen Urteil mitgeteilten Beweisergebnisse bieten keine Grundlage für die Annahme, dass B noch vor Abgabe des ersten Schusses die Möglichkeit gehabt hat, auf A einzuwirken.  Insbesondere gibt die Schilderung des A in seiner polizeilichen Vernehmung in der Tatnacht, wonach er mit den aus dem Sideboard im Flur geholten Pistolen in das Wohnzimmer zurückgekehrt sei und der ihm entgegenkommenden B die Pistole vor den Kopf auf die Stirn gehalten und zweimal abgedrückt habe, für eine solche zeitliche Unterbrechung des Handlungs­ablaufs keinen Anhalt. (Rn. 18)

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