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BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – 1 StR 426/21: Zum Vorliegen eines minder schweren Falles des Totschlages

Sachverhalt:

A führte einen Handel mit Betäubungs­mitteln und bezog das Rauschgift von Z. A sollte für die Bezahlung zur Wohnung des Z kommen. Da A eine körperliche Auseinandersetzung mit Z befürchtete, nahm er zu diesem Treffen sein Springermesser sowie zur Unter­stützung seinen Freund D mit. Es kam tatsächlich zum Streit mit Z über die Bezahlung. Dieser packte den A mehrfach am Kragen und schlug mehrmals auf ihn ein. Z wollte den Personalausweis des A sehen, um dessen genauen Personalien und Anschrift zu erfahren, was A verweigerte. Z, der bereits zu Anfang des Treffens die Wohnungs­tür zugesperrt hatte, äußerte, dass keiner die Wohnung verlasse, bis nicht A seinen Ausweis vorlege. Z packte A, der sich bislang passiv und ohne Gegenwehr verhalten hatte, mit beiden Händen am Hals und drückte ihn gegen einen Schrank, sodass A kurzzeitig schwer Luft bekam. A holte nunmehr sein Springermesser aus der Hosentasche und fügte in Verteidigungs­absicht dem Z einen Schnitt zu, der dessen Angriff sofort beendete.

Über einen mehrminütigen Zeitraum verweigerte Z weiterhin die Forderung des A, die Wohnungs­tür aufzusperren. Z äußerte, selbst ein Messer holen zu wollen, ohne hierzu in der Lage zu sein. Z bewegte sich langsam auf A zu. A stieß daraufhin dem Z aus Wut und Rache über die vorangegangenen Über­griffe das Messer ohne Vorwarnung mit voller Wucht in den Hals. Dem nunmehr völlig wehrlosen Z fügte A mindestens sechs weitere Stichverletzungen in den Hals- und Brust­bereich zu. Die Stichverletzungen führten zu dessen Tod.

 

Aus den Gründen:

Die Voraussetzungen der Notwehr (§ 32 StGB) liegen für die nach der Abwehr des körperlichen Angriffs des Z gerechtfertigten Schnittverletzung dem Z beigebrachten Schnittverletzungen nicht vor. Auch die Voraussetzungen des § 33 sind nicht gegeben. Für Über­schreiten der Grenzen des Notwehrrechts aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken sind keine Anhaltspunkte gegeben.

Hinsichtlich der weiteren Stichverletzungen kann ein Provokations­fall gemäß § 213 Alt. 1 StGB nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass das strafbare Vor­verhalten des A gegen ein schuldloses Herbeiführen der Tatprovokation spreche. Ein vorwerfbares Vor­verhalten von einigem Gewicht kann nicht allein deshalb angenommen werden, weil Konflikte um Zahlungen im kriminellen Drogenmileu typisch sind.

„Ohne eigene Schuld im Sinne des § 213 Alt. 1 StGB handelt ein Täter, wenn er für die Provokation seitens des Tatopfers keine genügende Veranlassung gegeben und selbst zur Verschärfung der Situation nicht beigetragen hat. Hierbei sind im Rahmen einer wertenden Gesamtwürdigung alle dafür maßgeblichen Umstände einzubeziehen, wobei nicht allein auf mögliche Konflikte im kriminellen Drogenmilieu abzustellen, sondern vielmehr auch die unmittelbar tatauslösende Situation in den Blick zu nehmen ist.“ (Rn. 11).

„Im Rahmen dieser Prüfung „außergewöhnlicher Umstände“ ist es erforderlich, das strafbare Vor­verhalten des Täters und die Entwicklung seiner Einbindung in den Drogenhandel sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe, bevor er sich in eine konfliktträchtige Gefahrensituation begibt, zu berücksichtigen“ (Rn. 12).

Das Verhalten des Z ist bei der Frage, ob A ohne eigene Schuld gehandelt hat, gleichfalls zu berücksichtigen. Diesem ist als Drogendealer ebenfalls strafrechtliches Vor­verhalten vorzuwerfen, außerdem hat er die tatauslösende Situation bewusst selbst herbeigeführt. Die Voraussetzungen der Notwehr hinsichtlich des ersten Stiches waren gegeben. A ist zudem der Notwehrhandlung nachfolgenden Zeitpunkt nicht gehalten, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Mit dieser Begründung würde ihm vorgeworfen werden, die Tat überhaupt begangen zu haben. Die Möglichkeit, ohne eigene Schuld im Sinne von § 213 Alt. 1 StGB handeln zu können, kann rechtlich hierdurch nicht eingeschränkt werden“ (Rn. 13).

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