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BGH, Beschluss vom 15.02.2022 – 4 StR 491/21: Zum Mordmerkmal der Heimtücke

Sachverhalt:

A entwickelte in Folge einer Erkrankung Wahnvorstellungen, dass seine von ihm getrenntlebende Ehefrau im Familienkreis gegen ihn intrigiere und ihn vergiften wolle. Er beschloss, die aus seiner Sicht von seiner Ehefrau drohende Gefahr zu beenden. Dazu nahm er eine geladene Pistole, einen Teleskopschlagstock sowie einen ohne Wissen seiner Ehefrau gefertigten Nachschlüssel mit. A wollte sie mit seinem Verdacht konfrontieren und sie für den Fall, dass er die vermeintliche Gefahr nicht anders beenden könne, töten. Gegebenfalls wollte er den Nachschlüssel und Waffen unerwartet einsetzen und den Über­raschungs­moment für die Tat ausnutzen. A klingelte, die Waffen verdeckt, an der Tür, wo ihn sein Sohn durch den Türspion sah. Sein Sohn kehrte jedoch in Wohnzimmer zurück, wo er berichtete, dass A vor der Tür stehe. A öffnete unerwartet die Tür mit den Nachschlüssel und drang ins Wohnzimmer, was sein Sohn sowie Bruder durch Zudrücken der Wohnzimmertür vergeblich zu verhindern suchten.

A griff mit der Hand nach seinem Bruder und forderte diesen auf, mit ihm nach draußen zu gehen. Dieser ging davon aus, dass sich A mit ihm schlagen wollte und erwiderte, dass Kinder in der Wohnung seien. Die Ehefrau des Bruders wollte die Beiden trennen, was A in Rage versetzte. A entschloss sich aufgrund der vermeintlichen Intrige, seine Schwägerin und seinen Bruder zu töten.  Er zog die Pistole aus dem rückseitigen Hosenbund und schoss auf seine Schwägerin, wodurch sie, wie beabsichtigt, tödliche Verletzungen erlitt. Sodann richtete A die Pistole auf seinen Bruder und schoss ein weiteres Mal, um auch diesen zu töten, wobei der Schuss jedoch zu keinen lebens­bedrohlichen Verletzungen führte. Beide Schüsse gab A in dem Bewusstsein ab, dass seine Opfer nicht mit einem Angriff auf ihr Leben mittels Schusswaffe gerechnet hatten.

 

Aus den Gründen:

Das Landgericht ist bei der rechtlichen Würdigung von einem unzutreffenden Verständnis des Mordmerkmals der Heimtücke ausgegangen.

„Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungs­vorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet (…). Ohne Bedeutung für die Frage der Arglosigkeit ist dabei, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Besorgt das Opfer einen gewichtigen Angriff auf seine körperliche Integrität, ist es vielmehr selbst dann nicht arglos, wenn es etwa wegen fehlender Kenntnis von der Bewaffnung des Täters die Gefährlichkeit des erwarteten Angriffs unter­schätzt“ (Rn. 9).

Die Arglosigkeit lässt sich vorliegend somit nicht damit begründen, dass sie nicht mit einem bewaffneten oder sonst lebens­bedrohenden Angriff des A rechneten. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die Tatopfer zu dem Zeitpunkt, als A mit Tötungs­absicht die Waffe aus dem Hosenbund zog, einen irgendwie gearteten erheblichen tätlichen Angriff gegen ihre Person erwarteten.

 

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