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BGH, Urteil vom 10.02.2022 – 3 StR 329/21: Zur Pflichtverletzung bei Untreue

Sachverhalt:

A war Vorstand der V, die Anteile an der E hielt. Diese Anteile wollte A veräußern, was er als schwierig einschätzte. Er beauftragte für den Verkauf des Aktienpakets die D, bei der es sich um einen leeren Firmenmantel mit Börsennotierung handelte. D sollte bei Zustandekommen einer Trans­aktion unter ihrer Beteiligung ein Erfolgshonorar erhalten. Später beauftragte V ebenfalls die Vi für dieselbe Tätigkeit, wobei neben einem festen Beraterhonorar ein Erfolgshonorar vorgesehen war. Der Vorstand der E suchte in Abstimmung mit Vi Investoren. Schließlich kam der Verkauf zustande, das Aktienpaket wurde übertragen und der Kaufpreis überwiesen. Die D, die nicht weiter tätig geworden war, stellte V eine Rechnung über 1.228.080 €. Auch die Vi stellte eine Rechnung. Auf Anweisung des A zahlte die V an die D die geforderte Summe, nachdem bei Nichtzahlung mit rechtlichen Schritten gedroht wurde. Die Veräußerung der Anteile stand nicht in Zusammenhang mit einer Tätigkeit der Vi oder D. Dies hielt A für möglich und nahm es billigend in Kauf. Auf sein Geheiß wurde seitens der D das Erfolgshonorar der Vi an diese überwiesen.

 

Den Freispruch vom Vorwurf der Untreue gemäß § 266 I StGB sieht der BGH als rechts­fehlerhaft an.

 

Aus den Gründen:

„In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass dem Vorstand einer Aktien­gesellschaft bei der Leitung der Geschäfte eines Unter­nehmens ein weiter Handlungs­spielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unter­nehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Inkaufnahme der Gefahr, bei der wirtschaft­lichen Betätigung Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen zu unter­liegen. Eine Pflichtverletzung liegt erst dann vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungs­bewusstsein getragenes, ausschließlich am Unter­nehmens­wohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungs­grundlagen beruhendes unter­nehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unter­nehmerische Risiken einzugehen, in un­verantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss. Diese zum Aktienrecht entwickelten, mittlerweile als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten Grundsätze sind auch Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB (…). Eine Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage kann eine solche Pflichtverletzung indizieren. Diese ist letztlich nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der Leitungs­fehler muss sich auch einem Außen­stehenden förmlich aufdrängen“ (Rn. 9).

 

„Zu Informations­pflichten von Vorstands­mitgliedern ist anerkannt, dass sie grundsätzlich in der konkreten Entscheidungs­situation die Ausschöpfung aller verfügbaren Informations­quellen tatsächlicher und rechtlicher Art verlangen, um auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungs­optionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen. Die konkrete Entscheidungs­situation ist danach der Bezugsrahmen des Ausmaßes der Informations­pflichten. Dementsprechend ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass sich der Vorstand eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informations­gewinnung „angemessene“ Tatsachenbasis verschafft; je nach Bedeutung der Entscheidung ist eine breitere Informations­basis rechtlich zu fordern. Dem Vorstand steht danach letztlich ein dem konkreten Einzelfall angepasster Spielraum zu, den Informations­bedarf zur Vorbereitung seiner unter­nehmerischen Entscheidung selbst abzuwägen. Ausschlaggebend ist dabei nicht, ob die Entscheidung tatsächlich auf der Basis angemessener Informationen getroffen wurde und dem Wohle der Gesellschaft diente, sondern es reicht aus, dass der Vorstand dies vernünftigerweise annehmen durfte. Die Beurteilung des Vorstands im Zeitpunkt der Entscheidungs­findung muss aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters vertretbar erscheinen.“ (Rn. 14)

Für das Vorliegen einer objektiven Pflichtverletzung sind insbesondere die zivilrechtliche Lage und der tatsächliche sowie zu verlangende Informations­stand des Angeklagten relevant.

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