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BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 4 StR 91/22: Zur Nötigung

Sachverhalt (Rz. 3 – 8)

Der Angeklagte geriet in Streit mit seiner Freundin, als diese auf dem Smartphone ein Gespräch aufzeichnete, ohne dass er es bemerkte. Nachdem er versuchte, die Aufnahme zu löschen, kam es zu einer Rangelei, bei der er der Zeugin ins Gesicht schlug und ihr dadurch Schmerzen verursachte. Daraufhin versuchte die Zeugin, mit einem älteren Smartphone die Polizei zu rufen, woraufhin der Angeklagte der Zeugin das Handy abnahm. Anschließend versuchte er, die Wohnung zu verlassen, um das Smartphone mit der Aufnahme in Sicherheit zu bringen, und mit einem Pkw wegzufahren. Der Angeklagte tippte mehrmals das Gaspedal an, trat jedoch sofort auf die Bremse, weil die Zeugin weiterhin im Weg stand. Als die Zeugin sich vom Fahrzeug weg bewegte, fuhr er schließlich los und vertraute darauf, dass die Zeugin sich nicht verletzen würde. Allerdings kam diese ins Straucheln und erlitt durch den Sturz eine Beckenprellung. Der Angeklagte fuhr ohne Unterbrechung weiter, obwohl er den Sturz bemerkt und eine Verletzung für möglich gehalten hatten.

Das Landgericht hat dieses Geschehen als fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewürdigt.

Aus den Gründen

Das Landgericht hat mit rechts­fehlerhaften Erwägungen die Annahme einer versuchten Nötigung nach §§ 240 III, 22, 23 I verneint. (Rz. 10)

„Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht. Die Annahme einer versuchten Nötigung gemäß § 240 III StGB in der Variante der Drohung mit einem empfindlichen Übel setzt daher in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, dass sein Verhalten von dem Tatopfer als ein Inaussichtstellen eines erheblichen Nachteils (hier eines Anfahrens mit dem Pkw) verstanden wird. Dazu bedarf es einer umfassenden Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände.“ Dass der Angeklagte zwischenzeitlich vom Gas ging, zeigt lediglich, dass er die Drohung nicht in die umsetzen wollte. Insgesamt kommt es auf die Vorstellungen des Angeklagten und nicht die der Zeugin an, sodass es nicht entgegensteht, dass die Zeugin sein Verhalten nicht als Drohung verstand. (Rz. 13 – 15)

Weiter liegt keine Nötigung vor durch Abwehr des Versuchs der Zeugin, das erste Smartphone zurückzuerlangen, da zum Zeitpunkt der Rangelei ein Angriff auf das APR des Angeklagten durch eine unbefugte Tonaufnahme des nichtöffentlichen Wortes vorlag und er somit durch Notwehr gerechtfertigt handelte, § 32 II. (Rz. 17)

Zudem lag in der Wegnahme des älteren Handys keine Gewalt. „Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB setzt eine körperlich vermittelte Zwangs­wirkung zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands voraus. Dazu kann auch ein geringer körperlicher Aufwand genügen, wenn seine Aus­wirkungen sich physisch wirkend als körperlicher Zwang darstellen.“ Die „übertölpelte“ Zeugin leistete bei der Wegnahme jedoch keinen Widerstand und der Angeklagte musste keine Kraft aufwenden, sodass keine Gewalt i.S.d. § 240 vorliegt.  (Rz. 19 – 21)

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