DE / EN

BGH, Beschl. v. 10.1.2023 – 6 StR 133/22: Zur Untreue durch Betriebs­ratsvergütungen und zum Verbotsirrtum

Sachverhalt (Rz. 4–16)

Der Angeklagte N war Vorstand der AG. Der Angeklagte Bl war danach Vorstand der AG. Der Angeklagte S war Prokurist und später Leiter Personal. Der Angeklagte R war danach Leiter Personal und Prokurist.

Sie waren für die Bemessung der Betriebs­ratsvergütung zuständig. Sie bewilligten jährlich steigende monatliche Entgelte des Betriebs­rats und freiwillige Bonuszahlungen. Die Angeklagten hielten ihr Handeln für pflichtgemäß. Der Angeklagte N verließ sich auf die Einschätzung interner und externer Berater, denen zufolge das angewandte System rechtmäßig sei. Der Angeklagte S wurde von seinem Vorgänger als Leiter Personal über den Inhalt der rechtlichen Beratung informiert und fand ein bestehendes Vergütungs­system vor. Der Angeklagte R hatte den gleichen Wissenstand wie S und kannte die Auffassungen der internen und externen Berater. Dem Angeklagten Bl wurde „von allen Seiten erklärt und versichert“, alles sei rechtlich in Ordnung.

Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagten hätten den objektiven Tatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) erfüllt, jedoch ohne Vorsatz gehandelt. Ihre irrige Über­zeugung, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln, stelle einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 Abs. 1 StGB dar.

Aus den Gründen (Rz. 18–24)

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktien­gesellschaft unter Verstoß gegen das betriebs­verfassungs­rechtliche Begünstigungs­verbot einem Mitglied des Betriebs­rats ein überhöhtes Arbeits­entgelt gewährt. Die hierfür erforderliche Vermögensbetreuungs­pflicht ergibt sich im Hinblick auf das Vorstands­mitglied einer Aktien­gesellschaft aus § 93 Abs. 1 AktG. Prokuristen trifft eine Vermögensbetreuungs­pflicht bereits aus der Prokura als solcher. Eine strafrechtliche Ausfüllung dieser Vermögensbetreuungs­pflicht durch weitere – namentlich vermögensschützende – Vorschriften, Satzungs­bestimmungen, vertragliche Verpflichtungen, den vom Landgericht herangezogenen Deutschen Corporate Governance Kodex oder hierzu abgegebene Entsprechens­erklärungen ist aus Rechts­gründen nicht erforderlich.

Diese Vermögensbetreuungs­pflicht wird verletzt, wenn einem Betriebs­rat ein Arbeits­entgelt bewilligt wird, das gegen das betriebs­verfassungs­rechtliche Begünstigungs­verbot (§ 78 Satz 2 BetrVG) verstößt. Eine solche begünstigende Verfügung führt zu einem verbotenen Vermögensabfluss und ist nichtig (§ 134 BGB). Sie überschreitet die in § 93 Abs. 1 AktG normierten und auch der Prokura eigenen äußersten Grenzen des (unter­nehmerischen) Ermessens und verletzt eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden Vermögen. Steht fest, dass gegen § 93 Abs. 1 AktG verstoßen worden ist, bleibt kein Raum für die Prüfung, ob dieser Verstoß gravierend oder evident ist. Auch das Einverständnis des Vermögensinhabers steht der Pflichtverletzung nicht entgegen. Ein hierdurch verursachter Vermögensnachteil ist nicht kompensiert; dies gilt selbst dann, wenn durch die Zahlungen die vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle des Unter­nehmens gefördert worden sein sollte.

Zutreffend hat das Landgericht auch die Kriterien für einen Verstoß gegen § 78 Satz 2 BetrVG bestimmt. Demnach schließt die gesetzliche Regelung des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG – wonach das einem Betriebs­rat zu zahlende Arbeits­entgelt nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebs­üblicher Entwicklung zu bemessen ist – eine Bewertung der Betriebs­rats­tätigkeit für Vergütungs­zwecke aus. Das gilt auch für im Betriebs­ratsamt erworbene Qualifikationen, soweit sie nicht im Zusammenhang mit der bisherigen Arbeits­tätigkeit stehen. Denn die Betriebs­rats­tätigkeit ist unentgeltlich auszuüben, wobei im Interesse der Unabhängigkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist. Dieser verbietet es, auf die hypothetische Gehalts­entwicklung des Betriebs­rats bei einer Sonderkarriere abzustellen. Vergleichbar ist vielmehr nur, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt hat und dafür in gleicher Weise wie der Betriebs­rat fach­lich und persönlich qualifiziert war. Üblich ist eine Entwicklung, wenn die überwiegende Anzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer eine solche typischerweise bei normaler betrieblicher und personeller Entwicklung genommen hat. Diese Regeln gelten auch für Be­förderungen. Ein Aufstieg ist insbesondere nur dann betriebs­üblich, wenn die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen erreicht hat. Die Zahlung einer höheren Vergütung setzt voraus, dass der Betriebs­rat nur infolge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete Position aufgestiegen ist. Darüber hinaus gehende Vergütungs­erhöhungen verstoßen gegen das Begünstigungs­verbot aus § 78 Satz 2 BetrVG.

Ebenfalls zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die für die Bewilligungen maßgeblichen Vergleichspersonen nicht diesen Grundsätzen entsprechend ausgewählt wurden. Denn diese haben zum Zeitpunkt der Amtsübernahme weder ähnliche Tätigkeiten wie die betreffenden Betriebs­räte ausgeführt, noch waren sie in gleicher Weise qualifiziert. Unzutreffend ist die von den Angeklagten in Anspruch genommene Auffassung, wonach es bei besonderen Umständen abweichend von den vorbezeichneten Grundsätzen auf eine individuelle hypothetische Ausnahmekarriere des Betriebs­rats als Manager ankomme und dementsprechende Vergleichspersonen zu bestimmen seien. Hieran ändert nichts, dass die betreffenden Betriebs­räte nach ihrer Amtsübernahme die unter­nehmens­eigene Management­prüfung bestanden oder mit Vorständen und Managern „auf Augenhöhe verhandelt“ und als Betriebs­rat komplexe Aufgaben wahrgenommen hätten, in „unter­nehmerische Entscheidungs­komplexe eingebunden“ gewesen seien Angebote zum Wechsel in Management­positionen erhalten oder in der Zusammenarbeit vergütungs­relevante Leistungen gezeigt hätten. Erst recht kann aus der Betriebs­rats­tätigkeit als solcher nicht geschlussfolgert werden, der Betriebs­rat habe „den Marschallstab im Tornister“ und könne fortan mit Führungs­kräften verglichen werden. Denn diese Maßstäbe knüpfen in unzulässiger Weise an die Bewertung der Betriebs­rats­tätigkeit als solcher an und finden keine Stütze im Betriebs­verfassungs­gesetz.

Subsumtion (Rz. 25–39)

Das Urteil hält gleichwohl sachlich-rechtlicher Über­prüfung nicht stand. Denn die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zu den objektiven Voraussetzungen des Untreuetatbestandes genügen nicht den Anforderungen (vgl. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO).

Das Landgericht hat das Vorliegen des objektiven Tatbestands der Untreue darauf gestützt, den Betriebs­räten seien unzulässig hohe Vergütungen in Form von monatlichen Entgelten und Bonuszahlungen gewährt worden. Zwar hat es festgestellt, in welcher Höhe die Angeklagten Bonuszahlungen und Steigerungen der monatlichen Entgelte zu Gunsten der Betriebs­räte bewilligten. Die Urteilsgründe verhalten sich aber nicht dazu, an welchen Maßstäben sich die jeweilige Entscheidung ausrichtete.

Darüber hinaus begegnet die Beweiswürdigung zum Vorsatz der Angeklagten N. , S. und R. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen. Die Beweiswürdigung erweist sich aber etwa dann als rechts­fehlerhaft, wenn sie lückenhaft; dies ist hier der Fall.
Im Hinblick auf die Angeklagten N. , S. und R. hat das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite des § 266 Abs. 1 StGB ausschließlich auf die Einstufung der Betriebs­räte in bestimmte Entgeltstufen und die damit verbundene Höhe ihrer Bezüge abgestellt. So hat es etwa bei dem Angeklagten S. dessen fehlenden Vorsatz damit begründet, dass sich aus der von ihm bewilligten „geringen anteiligen Erhöhung“ des Monatsgehalts des Betriebs­rats O. „um weitere 500 Euro“ von 12.400 Euro auf 12.900 Euro „keine Zweifel an der Höhe der gewährten Vergütung“ ergeben hätten; auch bei der Prüfung des Vorsatzes der Angeklagten N. und R. hat das Landgericht allein die Einordnung der Betriebs­räte in bestimmte Entgeltstufen in den Blick genommen. Die den Betriebs­rats­mitgliedern über ihre jeweiligen Grundgehälter hinaus gewährten Bonuszahlungen hat es bei der Prüfung des Vorsatzes hingegen vollständig außer Betracht gelassen. Dies erweist sich als lückenhaft. Denn die sich aus der Eingruppierung in eine bestimmte höhere Entgeltstufe ergebende Vergütung des Betriebs­rats oder die Aufstockung seiner monatlichen Zahlungen etwa um einen Betrag von 500 Euro mögen zwar für sich gesehen nicht außergewöhnlich hoch gewesen sein. In die erforderliche Gesamtwürdigung hätte das Landgericht – gegebenenfalls nach den gebotenen Feststellungen über eine Bonuszahlung an O. für das Jahr 2011 – aber einstellen müssen, dass die zusätzliche Gewährung eines Bonus die jährlichen Zuwendungen auf teils sehr hohe sechsstellige Beträge ansteigen ließ. Diese für Arbeitnehmer außergewöhnlichen Zahlungen können ein gewichtiges Indiz für den Vorsatz sein.

Sofern auch das neue Tatgericht die objektiven Voraussetzungen einer Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB als gegeben erachtet, wird es Gelegenheit haben, eingehender als bislang geschehen zu prüfen, ob es sich bei einer etwaigen Fehlvorstellung der Angeklagten zur Rechtmäßigkeit ihres Handelns um einen Irrtum über tatsächliche Umstände (§ 16 StGB) oder einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) handelt. Gegebenenfalls wird zu bedenken sein, dass ausreichende Unrechts­einsicht hat, wer bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Das gilt insbesondere, wenn dem Handelnden bewusst war, dass er sich in einem rechtlichen Grenz­bereich bewegte. Sofern das neue Tatgericht zur Annahme eines Verbotsirrtums gelangt, ist der Frage nach dessen Vermeidbarkeit besonderes Augenmerk zu widmen. Das Vertrauen auf eingeholten anwaltlichen Rat vermag nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Ein Gutachten, das „rechtlichen Flankenschutz für die tatsächliche Handhabung“ bieten soll, wird besonders kritischer Würdigung. Mit Blick auf die zahlreichen Wortmeldungen in der Fach­öffentlichkeit im Vorfeld und während der verfahrensgegenständlichen Taten, welche die von den Angeklagten angewandten Bemessungs­kriterien für die Vergütung von Betriebs­räten – teils auch speziell für die V. AG – für unzulässig erachteten, läge die Unvermeidbarkeit jedenfalls nicht auf der Hand.

Zum Volltext