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BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – 4 StR 40/23: Zur Schuld­fähigkeit § 20 StGB und zur Tötung mit gemeingefährlichem Mittel

Leitsätze

  1. Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuld­fähigkeit. Vielmehr ist das Tatgericht gehalten, sich im Wege einer umfassenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses zum Vor- und Tatgeschehen sowie des Nachtat­verhaltens unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Sachverständigen mit der Frage einer möglichen Zuspitzung der Störung im Zeitraum vor den Taten und dem Vorliegen eines akuten psychotischen Schubs bei der Tatbegehung (mit dann bereits häufig aufgehobenen Einsichts­fähigkeit) auseinanderzusetzen. 
  2. Rechts­fehlerhaft ist es, die Schuld­fähigkeit nicht bezogen auf das konkrete Tatgeschehen und die hierbei krankheitsbedingt verbliebenen Handlungs­spielräume des Angeklagten, sondern ausschließlich in einer generalisierenden Betrachtungs­weise des Krankheitsbildes ohne nachvollziehbare, auf die verfahrensgegenständlichen Tat(en) bezogene Erwägungen zu prüfen. 
  3. Haben mehrere Faktoren (hier Psychose und Alkohol) zusammengewirkt, so dürfen diese im Rahmen der Schuld­fähigkeits­prüfung nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung. 
  4. Das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel ist erfüllt, wenn der Täter ein Tötungs­mittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters.
  5. Von dem Mordmerkmal tatbestandlich nicht erfasst wird eine „schlichte“ Mehrfach­tötung; eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der Täter mit Tötungs­absicht gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Opfer richtet.

Sachverhalt (Rn. 4–6)

Im Verlauf der 1990er Jahre bildeten sich bei dem zum Urteilszeitpunkt bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getretenen Angeklagten sich zunehmend verfestigende Wahnvorstellungen aus. Gegenstand dieser Wahninhalte waren sowohl Verfolgungs- und Über­wachungs­phantasien als auch Ohnmachtsgefühle gegenüber einem von ihm empfundenen umfassenden Komplott des Staates sowie verschiedener Institutionen („Arbeits­amt“, „Krankenkasse“) und Personen in seinem Umfeld, dar­unter auch Rechts­anwälte und Notare, von denen er sich übervorteilt wähnte. Im Zuge dieser Entwicklung verfestigte sich bei dem Angeklagten u.a. die unverrückbare Über­zeugung, dass ihm seit Jahrzehnten finanz­ielle Ansprüche aus einem an ihm in seiner Kindheit durchgeführten medizinischen Experiment vorenthalten würden. Im Laufe des November 2020 gelangte der Angeklagte zu der Er­kenntnis, dass er mit Hilfe von Anwälten nicht zur Durchsetzung dieser Ansprüche gelangen würde, und es reifte der Plan, durch eine spektakuläre Tat auf dieses von ihm empfundene Unrecht aufmerksam zu machen. Hierbei stellte sich der Angeklagte eine Amokfahrt durch die Innenstadt vor. Zuletzt ging der Angeklagte wahnhaft davon aus, dass im Notariat Dr. W. eine Entschädigung aufgrund des in der Kindheit erlittenen medizinischen Experiments in Höhe von 500.000 € bereitliege, die er abholen müsse. Nachdem er dort vergeblich vorstellig und abgewiesen worden war, sah er keine Möglichkeit mehr, die ihm aus seiner Sicht zustehende Entschädigung zu erhalten, und befand sich in einer opferhaften, von dem Gefühl der Benachteiligung und der Ohnmacht bestimmten anhaltenden Stimmungs­lage. Als er am Folgetag zur Mittagszeit eine Straße im Zentrum mit angemessener Geschwindigkeit befuhr, beschloss er, den bereits länger gehegten Gedanken umzusetzen und eine Amokfahrt durch die Fußgängerzone der Stadt als „Racheakt an der Gesellschaft“ zu unter­nehmen. Er bog stark beschleunigend mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen in eine der großen Einkaufsstraßen ein und steuerte sein Fahrzeug in der Absicht, „möglichst viele Menschen zu töten oder zumindest erheblich zu verletzen“, mit hoher Geschwindigkeit über eine Strecke von 850 m innerhalb von viereinhalb Minuten durch die zur Mittagszeit belebte Fußgängerzone. Das Tatfahrzeug erreichte eine Geschwindigkeit von 75 km/h. Der Angeklagte lenkte sein Fahrzeug auf verschiedene Personen und Personen­gruppen zu, die sorglos in der Fußgängerzone flanierten und nicht mit einem in Tötungs­absicht mit hoher Geschwindigkeit geführten Kraftfahrzeug rechneten. Er nutzte hierbei bewusst die erhebliche Gefährlichkeit seines großen Geländewagens sowie die Arg- und Wehrlosigkeit der Passanten aus. Sämtliche der 24 Geschädigten wurden vom Angeklagten jeweils zielgerichtet „mit individuellem Tötungs­vorsatz“ anvisiert. Einige Opfer erfasste der Angeklagte vollständig – zumeist von hinten – mit der Front des Tatfahrzeugs, sodass sie im hohen Bogen durch die Luft geschleudert wurden; andere Personen touchierte der vom Angeklagten gelenkte Wagen lediglich oder er verfehlte sie vollständig. Fünf Menschen erlagen den infolge des Zusammenstoßes erlittenen Verletzungen, weitere 14 Personen wurden – zum Teil schwer – verletzt. In einigen Fällen vermochten Geschädigte, die das herannahende Fahrzeug noch rechtzeitig wahrnehmen konnten, ihr Leben durch reaktions­schnelle Fluchtbewegungen zu retten. Nach Verlassen der Fußgängerzone parkte der Angeklagte sein Fahrzeug wenige Meter weiter auf dem Gehweg und wartete eine Zigarette rauchend rücklings an das Fahrzeugheck gelehnt auf seine Festnahme durch die eintreffende Polizei. Eine dem Angeklagten knapp zwei Stunden später entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,12 Promille auf.

Sachverständig beraten hat die Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte mit Blick auf seine „zum Teil bizarr anmutende Wahnsymptomatik“ unter einer Schizophrenie vom Prägnanztyp der paranoiden Schizophrenie leide. Aufgrund dessen sei seine Steuerungs­fähigkeit bei Begehung der Taten sicher erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert, aber nicht aufgehoben (§ 20 StGB) gewesen.

Das LG ist von 18 selbstständigen Taten des Mordes bzw. versuchten Mordes – teilweise in mehreren tateinheitlich zusammentreffenden Fällen – ausgegangen, wobei es die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln angenommen hat. Tateinheitlich hat es zudem jeweils einen vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. a) StGB als verwirklicht angesehen. Wiederum tateinheitlich hat die Strafkammer in den Fällen des versuchten Mordes, in denen Geschädigte verletzt wurden, auf eine schwere Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3 StGB, drei „einfache“ (§ 223 StGB) und zehn gefährliche Körperverletzungen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB) erkannt.

Aus den Gründen (Rn. 8–13)

Die Entscheidung, ob die Schuld­fähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung. Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungs­grad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungs­fähigkeit des Täters zu unter­suchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktions­fähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung. Für die Tatsachen­bewertung ist der Richter auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds und bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungs­fähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechts­fragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungs­möglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungs­fähigkeit ausgewirkt hat. Beurteilungs­grundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage und das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten infolge einer paranoiden Schizophrenie in seiner erhaltenen Schuld­fähigkeit erheblich beeinträchtigt war. Die Ausführungen dazu, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild auf die Handlungs­möglichkeiten des Angeklagten in den konkreten Tatsituationen ausgewirkt hat, sind rechts­fehlerhaft.

Bereits die Feststellungen zum psychopathologischen Befund verfehlen den maßgeblichen Fokus auf den Tatzeitpunkt. Die Strafkammer nimmt insoweit namentlich die Ausprägung des Krankheitsbilds zum Zeitpunkt der Explorations- und der Hauptverhandlungs­situation in den Blick, ohne zu prüfen, ob sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in einer abweichenden psychopathologischen Verfassung befunden haben könnte. Die vorliegende Diagnose einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuld­fähigkeit. Vor diesem Hintergrund wäre die Strafkammer gehalten gewesen, sich im Wege einer umfassenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses zum Vor- und Tatgeschehen sowie des Nachtat­verhaltens unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Sachverständigen auch mit der Frage einer möglichen Zuspitzung der Störung im Zeitraum vor den Taten und dem Vorliegen eines akuten psychotischen Schubs bei der Tatbegehung auseinanderzusetzen.

Zudem ist den Ausführungen der Strafkammer auch kein belastbarer Bezug der weiteren Schuld­fähigkeits­prüfung zu dem festgestellten Tatgeschehen zu entnehmen. Bereits die nahezu durchgehend verwendete Formulierung der Schuld­fähigkeits­prüfung im Präsens („Trotz paranoider Symptomatik fehlt es dem Angeklagten nicht an der Kenntnis oder den notwendigen kognitiven Fähigkeiten, gesellschaft­liche und rechtliche Normen zu verstehen“ oder „Die beim Angeklagten vorhandene psychische Störung hat (…) zu Einschränkungen in seinem Persönlichkeits­gefüge geführt, durch die seine Handlungs­spielräume in relevanter Weise eingeschränkt sind“) lässt besorgen, dass die Strafkammer die Schuld­fähigkeit nicht bezogen auf das konkrete Tatgeschehen und die hierbei krankheitsbedingt verbliebenen Handlungs­spielräume des Angeklagten, sondern ausschließlich in einer rechts­fehlerhaften generalisierenden Betrachtungs­weise geprüft hat. Inhaltlich fehlen insoweit nachvollziehbare, auf die verfahrensgegenständlichen Taten bezogene Erwägungen. Die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen zur Frage der Aus­wirkungen des Störungs­bilds auf die Handlungs­möglichkeiten des Angeklagten verbleiben im Allgemeinen, wenn sie dem Angeklagten beispielsweise eine „Verformung des Persönlichkeits­gefüges“ im Zuge der paranoiden Störung oder eine „zunehmende Konfliktbereitschaft bei sich gleichzeitig erschöpfenden Kraftreserven“ attestieren, ohne einen Bezug zur konkreten Tatsituation herzustellen.

Die tatgerichtlichen Erörterungen zur Schuld­fähigkeit erweisen sich darüber hinaus insoweit als lückenhaft, als die Strafkammer im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht erkennbar in den Blick genommen hat, ob eine Kombinations- und Wechsel­wirkung des konsumierten Alkohols und der paranoiden Schizophrenie die Fähigkeit des Angeklagten, sich norm­gerecht zu verhalten, aufgehoben haben könnte. Schon das Versäumnis der Strafkammer, die erforderliche Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf den Zeitpunkt der Tatbegehung vorzunehmen, lässt besorgen, dass das Tatgericht die Alkoholisierung des Angeklagten nicht mit dem nötigen Gewicht in seine Erwägungen eingestellt hat. Einen durchgreifenden Erörterungs­mangel stellt es schließlich dar, wenn die Befunde zu den Aus­wirkungen des psychiatrischen Krankheitsbildes einerseits und der Alkoholisierung andererseits lediglich gesondert im Hinblick auf ihre Aus­wirkungen auf die Steuerungs­fähigkeit des Angeklagten unter­sucht werden, nicht aber in der gebotenen Gesamtschau. Haben mehrere Faktoren zusammengewirkt, so dürfen diese im Rahmen der Schuld­fähigkeits­prüfung nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung.

Danach kann das Urteil überwiegend keinen Bestand haben. Die Beurteilung der Schuld­fähigkeit des Angeklagten bedarf insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung, naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen.

Hinweise des Senats (Rn. 16–24)

Bei der erneut vorzunehmenden Vorsatz­prüfung wird das neue Tatgericht mehr als bisher geschehen auch vorsatzkritische Aspekte in den Blick zu nehmen haben. Diese können sich im Bezug auf das Wissenselement des Vorsatzes insbesondere dann ergeben, wenn wiederum eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung und alkoholische Beeinflussung festgestellt werden. Dabei wird es sich – anders als bisher geschehen – auch mit dem Einlassungs­verhalten und den Einlassungs­inhalten des Angeklagten auseinanderzusetzen und diese zu würdigen haben. Sollte das neue Tatgericht auf dieser Grundlage erneut zur grundsätzlichen Annahme eines Tötungs­vorsatzes bzw. eines entsprechenden Tatentschlusses des Angeklagten kommen, wird differenzierter als bislang darzulegen und zu belegen sein, welchen Vorsatzgrad der Angeklagte hinsichtlich der einzelnen Geschädigten verwirklicht hat. In einigen Fällen ist überdies die Individualisierung des Tatentschlusses auf Grundlage der bisherigen Feststellungen zweifelhaft. Sollten insoweit keine ergänzenden Feststellungen getroffen werden können, wäre gegebenenfalls zu erörtern, inwieweit der Angeklagte die Tötung oder Verletzung von Zufallsopfern in sein Vorstellungs­bild aufgenommen hatte.

Dem diesbezüglichen Vorstellungs­bild des Angeklagten kommt ferner unmittelbare Relevanz für die Frage zu, ob der Angeklagte das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln verwirklicht hat. Dieses ist nur erfüllt, wenn der Angeklagte sein Fahrzeug derart eingesetzt hat, dass in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährdet werden konnte, weil der Angeklagte die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hatte. Eine valide Abgrenzung von der tatbestandlich nicht erfassten „schlichten“ Mehrfach­tötung erfordert Feststellungen dazu, ob der Angeklagte sich mit Tötungs­absicht ausschließlich gegen eine Mehrzahl von ihm individualisierter Opfer wandte oder ob er darüber hinaus Zufallsopfer in Kauf nahm. Die Feststellungen, welche hinsichtlich aller Geschädigter von individualisierten Angriffen in Tötungs­absicht ausgehen, ohne zu erörtern, ob der Angeklagte zumindest auch die Gefährdung von Leib und Leben einer unbestimmten Anzahl weiterer Personen vor Augen hatte, tragen die Annahme des Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln jedenfalls in subjektiver Hinsicht derzeit nicht.

Im Rahmen der Prüfung des weiteren Mordmerkmals der Heimtücke wird das neue Tatgericht gegebenenfalls erörtern müssen, inwiefern die im Wege der Rückrechnung zu ermittelnde Alkoholisierung und etwaige (aufzuklärende) krankheitsbedingte Defizite des Angeklagten im Tatzeitpunkt geeignet sind, ein entsprechendes Ausnutzungs­bewusstsein in Frage zu stellen. In derartigen Fällen bedarf es in aller Regel der Darlegung der Beweisanzeichen, aus denen das Tatgericht folgert, dass der Angeklagte trotz entsprechender Umstände die für die Heimtücke maßgebenden Gesichtspunkte in sein Bewusstsein aufgenommen hat. Der diesbezüglich in den Urteilsgründen gezogene Schluss vom Erhalt der exekutiven Handlungs­kontrolle auf eine beeinträchtigungs­freie Wahrnehmung belegt die subjektive Tatseite objektiv heimtückischen Handelns nicht.

Es ist ferner gegebenenfalls von Seiten des neuen Tatgerichts zu erörtern, ob der Angeklagte

im jeweils relevanten Angriffszeitpunkt eine (möglicherweise irrtümliche) vorsatzgleiche Vorstellung dahingehend hatte, dass die von ihm konkret anvisierten Opfer noch infolge von Arglosigkeit wehrlos waren. In den genannten Fällen wurden die Opfer auf den ihnen geltenden Angriff aufmerksam und konnten ihr Leben im Ergebnis retten. Der Versuch einer heimtückischen Tötung würde hier jedenfalls dann ausscheiden, wenn der Angeklagte im jeweiligen Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens – beispielsweise infolge erkennbarer Fluchtbewegungen – bereits vom Verlust der Arg- und Wehrlosigkeit des anvisierten Opfers ausging.

Sollte das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht erneut zu der Über­zeugung gelangen, dass der Angeklagte hinsichtlich aller Geschädigter mit mindestens bedingtem Tötungs­vorsatz handelte, erhält es überdies Gelegenheit, für die Fälle, in welchen die Geschädigten den ihnen geltenden Angriff überlebt haben, spezifische Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten nach Abschluss der jeweils letzten Ausführungs­handlung zu treffen. Der objektiven Sachlage kann für das allein maßgebliche konkrete Vorstellungs­bild des Angeklagten – namentlich ob er in der jeweiligen Tatsituation erkannte, dass er ein Opfer vollständig verfehlt oder aber nicht in tödlicher Weise verletzt hatte, und welche Schlüsse er hieraus gegebenenfalls im Einzelfall zog – allenfalls indizielle Bedeutung zukommen.

Das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht wird hinsichtlich des Eintritts einer konkreten Gefährdung im Sinne von § 315b Abs. 1 StGB zu bedenken haben, dass die Wiedergabe einer tatgerichtlichen Wertung („erst im letzten Moment“) nicht die Schilderung der konkreten Verkehrs­situation ersetzt. Es wird daher im zweiten Rechts­gang zu prüfen sein, ob ergänzende Feststellungen zu Geschwindigkeiten und Abständen – zumindest aufgrund von deren Einschätzung aus Sicht der Zeugen – getroffen werden können, die einen „Beinahe-Unfall“ objektiv belegen.

Ferner wird sich das neue Tatgericht bei der Prüfung der gefährlichen Körperverletzung zu vergegenwärtigen haben, dass sowohl § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB als auch § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ihrem Wortlaut („mittels“) zufolge ein spezifisches Unmittelbarkeits­erfordernis an die Tatbestandsverwirklichung knüpfen. Danach ist § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in den hiesigen Fällen nur bei Verletzungs­folgen erfüllt, die durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Tatfahrzeug oder mit von diesem in Bewegung gesetzten Gegenständen entstanden sind. Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Art der Behandlung des jeweiligen Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet wäre, das Leben zu gefährden. Eine Lebens­gefahr, die sich erst aus weiteren äußeren Umständen ergibt, reicht dafür nicht aus. Die bisherigen Feststellungen gestatten insoweit mindestens im Hinblick auf einen der beiden Qualifikations­tatbestände keine abschließende Bewertung dieser Frage.

Sollte das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht in konkurrenzrechtlicher Hinsicht unter Ablehnung natürlicher Handlungs­einheit erneut zu der von Seiten des Revisionsgerichts eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungs­umfangs vorliegend grundsätzlich hinzunehmenden Würdigung des Tatgeschehens als einer Vielzahl tatmehrheitlich verwirklichter Angriffe gelangen, wird es auf der Grundlage dieser Bewertung Folgendes zu beachten haben: Auf Grundlage der aktuellen Feststellungen, wonach beide Geschädigte im Rahmen eines (einheitlichen) Abbiegevorgangs fast zeitgleich im Abstand von fünf Meter erfasst wurden, mangels gesonderter Lenkbewegung keine abgrenzbare, nur der Geschädigten R. geltende Tathandlung ersichtlich. Unter dem Gesichtspunkt der (Teil-)Identität der Ausführungs­handlung wäre ohne weitere Feststellungen mithin die Annahme von Tateinheit geboten. Des Weiteren lassen sich die Feststellungen bislang nur im Sinne eines einheitlichen Angriffs auf das Ehepaar L. lesen. Sofern auch im zweiten Rechts­gang insoweit keine gesonderte Individualisierung des Tatentschlusses beim Angeklagten festgestellt werden kann, liegt auch hier die Annahme von Tateinheit nahe.

Der neue Tatrichter wird auch zu bedenken haben, dass die Art der Tatausführung einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden darf, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuld­fähige Täter für die von ihm begangene

Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so dass für eine strafschärfende Berücksichtigung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld. In einem solchen Fall müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass sich das Tatgericht dieses Umstandes bewusst war und ihm Rechnung getragen hat.

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