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BGH, Beschl. v. 16.02.2023 – 4 StR 211/22: Zum verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge

Sachverhalt (Rz. 2–7)

Der Angeklagte verabredete mit dem früheren Mitangeklagten Se. ein Kraftfahrzeugrennen durch das Stadtgebiet. Dem Angeklagten und dem früheren Mitangeklagten ging es darum, ihre Kraftfahrzeuge jeweils mit maximaler Kraft zu beschleunigen und das andere Fahrzeug zu überholen. Die beiden Kontrahenten trafen sich auf einem Parkplatz und befuhren zunächst mit angepasster Geschwindigkeit die B. Straße, die über Bahngleise führt und in die Bi. straße einmündet; diese verläuft nahezu geradlinig durch ein Wohngebiet und verfügt über jeweils eine Fahrspur in jede Fahrtrichtung. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist auf 50 km/h beschränkt. Von beiden Seiten münden Straßen in die vorfahrtsberechtigte, durch Straßenlaternen beleuchtete Bi. straße ein. Nach Passieren der Bahngleise lenkte der Angeklagte sein Fahrzeug in Umsetzung der Rennabrede auf die Gegenfahrspur und beschleunigte maximal; auch der frühere Mitangeklagte beschleunigte sein Fahrzeug jedenfalls über einige Zeit mit Vollgas bis zu einer Geschwindigkeit von mindestens 92 km/h. Der Angeklagte erreichte etwa 101 Meter vor der späteren Unfallstelle eine Geschwindigkeit von 157 km/h. Aufgrund der deutlich überlegenen Motorleistung seines Fahrzeuges hatte er bereits einen Vorsprung vor dem schwächer motorisierten PKW seines Kontrahenten erzielt. In diesem Moment nahm er wahr, dass die Geschädigte mit ihrem PKW – aus seiner Sicht von links aus einer Seitenstraße kommend – unter Missachtung der Vorfahrt in Fahrtrichtung des Angeklagten in die Bi. straße einbog. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, leitete der weiterhin die Gegenfahrspur mit einer Geschwindigkeit von nunmehr 167 km/h befahrende Angeklagte eine Vollbremsung ein. Zugleich versuchte er, dem PKW der Geschädigten auszuweichen. Gleichwohl konnte er eine Kollision nicht vermeiden und fuhr mit einer Geschwindigkeit von noch 105 km/h mit der rechten Vorderseite seines Fahrzeugs auf das Heck des Fahrzeugs der Geschädigten auf. Diese erlitt infolge der Kollision schwerste Verletzungen und verstarb im Krankenhaus. Der Angeklagte, der sein Fahrzeug rund 70 Meter entfernt am linken Fahrbahnrand zum Stehen gebracht hatte, blieb unverletzt. Er stieg aus und entfernte sich zügig zu Fuß von der Unfallstelle, ohne sich um das Unfallopfer zu kümmern oder Feststellungen zu seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen.

Das Landgericht hat einen bedingten Tötungs­vorsatz verneint, einen bedingten Gefährdungs­vorsatz im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB aber bejaht und den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge verurteilt.

Die aufgezeigten Rechts­fehler nötigen zur Aufhebung des Urteils. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil zu Gunsten und zu Ungunsten des Angeklagten auf den aufgezeigten Darlegungs­mängeln im Rahmen der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).

Aus den Gründen (Rz. 19–26)

Bedingter Tötungs­vorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.

Die Beweiserwägungen, mit denen das Landgericht einen bedingten Tötungs­vorsatz verneint hat, stehen in einem unaufgelösten Spannungs­verhältnis zu den Ausführungen, mit denen es an anderer Stelle die Annahme bedingten Gefährdungs­vorsatzes im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB begründet hat.

Das Landgericht hat das Wissenselement des bedingten Tötungs­vorsatzes mit der Begründung bejaht, dem Angeklagten sei klar gewesen, dass er sein Fahrzeug innerhalb einer geschlossenen Ortschaft im Bereich eines Wohngebiets maximal beschleunigen und die Gegenfahrspur befahren werde; ihm sei weiterhin bewusst gewesen, dass andere Verkehrs­teilnehmer jederzeit aus den angrenzenden Straßen einfahren, er mit ihnen kollidieren und eine solche Kollision zu ihrem Tod führen könnte. Das voluntative Element des bedingten Tötungs­vorsatzes hat das Landgericht mit der Begründung verneint, der Angeklagte habe trotz objektiv hoher Gefährlichkeit der Tathandlung darauf vertraut, dass es nicht zu einem Unfall und zur Tötung anderer Verkehrs­teilnehmer kommen werde; aufgrund des Umstands, dass es sich bei der von ihm befahrenen Straße um eine gut ausgebaute Vorfahrtsstraße handelte, das Rennen nach seiner Vorstellung nicht lange dauern und er den PKW des Se. rasch überholen werde, habe er nicht ausschließbar darauf vertraut, dass andere Verkehrs­teilnehmer seine Vorfahrt beachten oder „grundsätzlich, wenn auch eingeschränkt, in der Lage sein würden, sein äußerst riskantes Fahr­verhalten und das seines Kontrahenten zu erkennen und sich auf die hieraus ergebende Gefahrenlage einzustellen“; er habe darauf vertraut, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ kommen werde.

Ein bedingter Gefährdungs­vorsatz im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB liegt vor, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet.

Zur Begründung des bedingten Gefährdungs­vorsatzes im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte habe insbesondere mit der Möglichkeit gerechnet, dass andere Verkehrs­teilnehmer plötzlich aus angrenzenden Straßen auftauchen, in die Bi. straße einbiegen und es in der Folge zu einem Zusammenstoß mit ihnen kommen könnte. Dies und die angesichts der gefahrenen Geschwindigkeit mit einer solchen Kollision verbundenen Folgen für die beteiligten Verkehrs­teilnehmer habe er billigend in Kauf genommen, weil er die Über­legenheit des Fahrzeugs vor seinen Freunden habe demonstrieren und sein Ansehen mehren wollen. Diese Ausführungen zum bedingten Gefährdungs­vorsatz lassen sich nicht widerspruchsfrei mit den Erwägungen zum bedingten Tötungs­vorsatz vereinbaren, wonach der Angeklagte darauf vertraut habe, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ mit Fahrzeugen des Querverkehrs kommen werde. Weiterhin lassen die Urteilsgründe offen, aus welchen rational einsichtigen Gründen der Angeklagte angesichts dieses im Rahmen des Gefährdungs­vorsatzes festgestellten Vorstellungs­bildes einer möglichen Kollision seines Fahrzeugs mit seitlichem Querverkehr ernsthaft und tatsachen­basiert, nicht nur vage auf das Ausbleiben eines tödlichen Erfolgs vertraut haben könnte.

Das Landgericht hat das voluntative Element bedingten Tötungs­vorsatzes mit der Begründung verneint, er habe auf das Ausbleiben einer Kollision mit dem Querverkehr vertraut; die Annahme bedingten Gefährdungs­vorsatzes im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB hat es aber mit der Begründung bejaht, der Angeklagte habe mit einer Kollision mit Verkehrs­teilnehmern gerechnet, die aus angrenzenden Straßen in die von ihm auf der Gegenfahrspur befahrene Vorfahrtsstraße einbiegen könnten. Diese auch unter Berücksichtigung des Zusammenhangs nicht miteinander zu vereinbarenden Ausführungen lassen auch die Annahme bedingten Gefährdungs­vorsatzes als rechts­fehlerhaft erscheinen. Zwar liegt die Annahme von Gefährdungs­vorsatz im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB angesichts der vom Landgericht zu Recht angenommenen, anschaulichen Höchstgefährlichkeit des vom Angeklagten absprach­egemäß durchgeführten Kraftfahrzeugrennens durch die Innenstadt, in dessen Verlauf er die Gegenfahrspur befuhr und – wenn auch kurzfristig – die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um ein Mehrfaches überschritt, nahe. Den Urteilsgründen kann aber auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht eindeutig entnommen werden, welche konkreten Gefährdungs­szenarien sich der Angeklagte vorstellte, die zwar nicht zu einer Kollision, aber doch zu einer Situation führten, die als Beinaheunfall beschrieben werden kann. Unter den hier gegebenen besonderen Umständen hätte das Landgericht jedoch im Einzelnen darlegen und trag­fähig belegen müssen, welche Geschehensabläufe sich der Angeklagte vorgestellt hat, die zwar nicht zu einer Kollision mit anderen Verkehrs­teilnehmern, aber zu einem Beinaheunfall in dem beschriebenen Sinne führen könnten. Hieran fehlt es.

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