Sachverhalt
Die Angeklagte F. hatte ab dem Jahr 2015 eine Beziehung mit dem arbeitslosen Angeklagten A. Beide lebten zuletzt von staatlichen Leistungen nach dem SGB II. Am 25. Mai 2018 wurde die Geschädigte als gemeinsames Kind der Angeklagten gesund geboren; sie wog bei der Geburt 3.050 g. Die Angeklagten richteten ihren Alltag nach der Geburt des Kindes nicht nach dessen Bedürfnissen aus. Unter anderem machten sie Ausflüge, Wanderungen und Fernreisen. Bis zur Untersuchung U 5 war die Kindesentwicklung unauffällig; dann war die Geschädigte leicht untergewichtig, worauf die Kinderärztin hinwies. Diese klärte die Angeklagten auch über die erforderliche Ernährung auf und forderte sie zur Wahrnehmung eines Kontrolltermins auf, wozu es aber nicht kam. Anfang 2019 war die finanzielle Situation der Angeklagten besonders angespannt und die Angeklagte F. litt unter einer depressiven Verstimmung. Vom Angeklagten A. erfuhr sie keine Unterstützung; dieser ging nur seinen Hobbys nach. Die Geschädigte wurde vernachlässigt, vor allem hinsichtlich ihrer Ernährung. Ihr Körpergewicht nahm stetig ab und die Angeklagten bemerkten ihren Verfall. Sie verhinderten, dass andere Personen davon erfuhren. Die Angeklagten machten aber weiter Reisen und Ausflüge. Demgegenüber sparten die Angeklagten an Babynahrung. Das Kind erhielt nur wenige Löffel Nahrung aus Gläschen, deren Inhalt anschließend verschimmelte. Auch die Körperhygiene des Kindes war desolat. Im Mai 2019 befand sich das Kind in einem lebensbedrohlichen Zustand. Es war somnolent und konnte keine Nahrung mehr aufnehmen. Am 6. Mai 2019 hörte die Angeklagte F. ein Röcheln aus dem Kinderzimmer und befürchtete, dass das Kind sterben würde. Sie hatte Angst, selbst nachzusehen, und bat den A. darum. Nachdem dieser das Kind reglos vorgefunden hatte, fuhren die Angeklagten mit ihm zur Rettungswache. Das knapp einjährige Kind wog nur noch 4.000 g, war apathisch, bewegte sich nicht mehr, hatte Atemaussetzer und zeigte keine Reaktionen. Es war klinisch tot, wurde aber von einem Rettungssanitäter reanimiert. Dann wurde es in die Klinik verbracht, wo es erneut reanimiert werden musste. Dort wurde unter anderem ein „Hungerdarm“ festgestellt, der durch lange Mangelernährung entsteht. Am 28. Mai 2019 wurde das Kind aus dem Krankenhaus entlassen und kam in die Obhut einer Pflegefamilie. Es zeigt eine globale Entwicklungsstörung; voraussichtlich werden kognitive Beeinträchtigungen infolge der Tat verbleiben.
Aus den Gründen
Die Verurteilung der Angeklagten wegen schwerer Misshandlung einer Schutzbefohlenen durch Unterlassen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Nr. 1, § 13 Abs. 1 StGB durch das Landgericht ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Fraglich ist jedoch die Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 13 Abs. 1 StGB. Der Täter müsste die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen haben. Ob die Voraussetzungen auch bei einem Unterlassen durch zwei Garanten erfüllt sind, hat der BGH bislang nicht entschieden. Nach der Rspr. kommt eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB allerdings dann nicht in Betracht, wenn neben dem aktiv handelnden Täter der Körperverletzung dem Opfer nur eine weitere Person gegenübersteht, die sich rein passiv verhält. Reicht aber die bloße Anwesenheit einer weiteren Person am Tatort neben einem aktiv handelnden Täter zur Erfüllung des Tatbestandes von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht aus, kann die Untätigkeit eines weiteren Garanten bei einer allein durch Unterlassen begangenen Körperverletzung erst recht nicht zur Erfüllung des Qualifikationstatbestandes führen. Diese Auslegung ergibt sich maßgeblich aus Sinn und Zweck der Vorschrift.
Der Wortlaut und die Historie der Bestimmung geben keine abschließende Auskunft über die Art und Qualität der Tatbeteiligung. Es muss daher nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift beurteilt werden. Der Grund für die Qualifikation der Körperverletzung in Fällen, in denen ein Täter („Wer“) die Körperverletzung „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ begeht, besteht in der besonderen Gefahr für das Opfer, dass es bei der Konfrontation mit einer Übermacht psychisch oder physisch in seinen Abwehr- oder Fluchtmöglichkeiten beeinträchtigt wird, ferner in der Gefahr der Verursachung erheblicher Verletzungen infolge der Beteiligung mehrerer Personen an der Körperverletzung. Diese Gefahren bestehen in einer Weise, welche die Erhöhung des Strafrahmens rechtfertigt, nur dann, wenn bei der Begehung der Körperverletzung zwei oder mehr Beteiligte am Tatort anwesend sind und bewusst durch aktive Tatbeiträge mitwirken.
Die bloße Anwesenheit von Personen, die passiv bleiben, rechtfertigt daher die erhöhte Strafdrohung nicht. Das Unterlassen entspricht nicht einer Ver[1]wirklichung des Qualifikationstatbestandes durch ein Tun, § 13 Abs. 1 StGB.
Darüber hinaus tritt der verwirklichte § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hinter § 225 Abs. 3 Nr. 1 Var. 1 StGB zurück. Wird eine schutzbefohlene Person durch die Tat nach § 225 Abs. 1 StGB in die konkrete Gefahr des Todes gebracht, wodurch der Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Var. 1 StGB erfüllt wird, so ist für einen Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, der bei Verursachung einer abstrakten Todesgefahr eingreift, kein Raum.