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BGH, Beschl. v. 19.07.23 – 2 StR 77/22: Zum Vermögensschaden beim Betrug

Sachverhalt (Rn. 2 – 6):

Der Angeklagte, ausgebildeter Bankkaufmann, begann frühzeitig, Geldanlagen für private Personen anzubieten. Unter verschiedenen Firmennamen versprach er festgelegte Zinsen und Gewinne für Tages- und Festgeldanlagen sowie Neuemissionen. Die Verträge mit den Anlegern enthielten „wie bei vergleichbaren Tages- und Festgeldkonten ähnlicher Bankinstitute keinerlei Angaben zur Verwendung der Gelder“.

Trotz der weltweiten Finanz­krise ab 2008 hielt der Angeklagte zunächst an seinen über­durchschnittlichen Zinsversprechen fest. Als er jedoch feststellte, dass er diese hohen Zinsen nicht mehr durch sichere Anlagen erwirtschaften konnte, begann er, das Geld der Anleger in Aktien zu investieren, ohne diese darüber zu informieren. Diese riskanten Investitionen führten zu erheblichen Verlusten, und spätestens 2014 entstand eine „erhebliche Kapitallücke“.

Mitte 2014 befanden sich auf den Konten des Angeklagten „kaum mehr nennenswerte Werte“, und die meisten Konten befanden sich „im Soll“. Gleichzeitig schuldete er seinen Anlegern mindestens 450.000 Euro, wobei das genaue Gesamtvolumen nicht mehr ermittelt werden konnte. Der Angeklagte, der sein Finanz­system nicht mehr überblicken konnte, ging im Jahr 2014 von einer Lücke von mindestens 100.000 Euro aus.

Um diese Kapitallücke zu schließen, investierte der Angeklagte das Geld der Anleger in riskante Options­geschäfte, ohne diese darüber zu informieren. Die anfänglichen Gewinne reichten nicht aus, um die Zinsversprechen zu erfüllen, und er erlitt erhebliche Verluste durch die Options­geschäfte.

Wenn der Angeklagte Auszahlungs­wünschen nachkam, verwendete er ab 2014 die neu eingehenden Gelder anderer Anleger, um den Eindruck zu erwecken, dass das angelegte Geld sicher sei. Mangels anderer Einnahmen deckte er auch seine privaten laufenden Kosten und Ausgaben mit den Anlegergeldern.

Die Verurteilung  wegen Betruges bezieht auf vier Fälle, in denen die Geschädigten zwischen August 2015 und Mai 2018 bei dem Angeklagten Geld als Tages- bzw. Festgeld anlegten.

Aus den Gründen:

Es fehlt schon an der hinreichenden Feststellung dafür, dass ein Vermögensschaden i.S.d. § 263 StGB eingetreten ist. (Rn. 7)

Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 I StGB liegt vor, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaft­licher Betrachtungs­weise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaft­lichen Gesamtwerts seines Vermögens führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung. Danach ist dem jeweils angelegten Betrag der Wert des gleichzeitig erlangten Rückzahlungs­anspruchs gegenüberzustellen. Der Rückzahlungs­anspruch wird – bei grundsätzlich gegebener Zahlungs­willigkeit des Schuldners – maßgeblich durch dessen Bonität und den Wert gegebenenfalls gestellter Sicherheiten bestimmt. Der Wert dieser Forderung bestimmt sich – wie auch sonst beim Vermögensvergleich – nach wirtschaft­licher Betrachtungs­weise und ist nach der Rechts­prechung des BVerfG konkret festzustellen und zu beziffern. (Rn. 8)

Soweit die Strafkammer den Vermögensschaden darauf stützt, dass die „Anleger“ über Eigenart und Risiko des Geschäfts derart getäuscht worden seien, dass sie etwas völlig anderes erworben hätten, als die von ihnen gewünschte „sichere, konservative Wertanlage“, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar ließe sich ein Vermögensschaden grundsätzlich auch auf das höhere Ausfallrisiko zweckwidrig verwendeter Anlagegelder stützen. Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich jedoch weder, zu welchen Zeitpunkten die Auszahlungs­ansprüche fällig wurden, noch dass sich der Angeklagte mit den Geschädigten darüber geeinigt hat, auf welche konkrete Art und Weise die angelegten Gelder zu verwenden seien. Dies wird auch nicht dadurch belegt, dass der Angeklagte mit der Verwendung „Festgeld“ eine „Sicherheit der Anlage“ suggerierte und die Geschädigten nicht damit rechneten, „dass ein nicht unerhebliches Ausfallrisiko bestand“. (Rn. 10 f.)

Für die Feststellung eines Schadens ist es nicht ausreichend, dass pauschal auf erhebliche Kapitallücken oder den eingetretenen Vermögensverlust abgestellt wird. Die Strafkammer hätte vielmehr – gegebenenfalls mit sachverständiger Beratung – für jeden Zeitpunkt der Vermögensverfügung der Geschädigten den jeweiligen Wert des Rückzahlungs­anspruchs unter Berücksichtigung der Bonität des Angeklagten ermitteln müssen. Nur bei Vorliegen eines täuschungs­bedingten Minderwerts des Darlehensrückzahlungs­anspruchs zu diesem Zeitpunkt wäre die Annahme eines Schadens – ohne dass es auf den tatsächlichen Verlauf des Darlehens­verhältnisses (noch) ankommt – gerechtfertigt.

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