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BGH, Beschl. v. 24.05.2023 – 2 StR 320/22: Zum Mordmerkmal der Heimtücke

Sachverhalt (Rz. 3–6)

Der Angeklagte unterhielt spätestens ab Anfang Februar 2020 eine außereheliche Beziehung zu der später Getöteten. Das Verhältnis war von Streitigkeiten geprägt, was auch zu einem Polizeieinsatz wegen körperlicher Gewalt und einer Strafanzeige seitens der Geschädigten führte. Der Angeklagte bestimmte und kontrollierte das Freizeit­verhalten der Geschädigten. Er drohte ihr, sie zu töten, sollte sie seinen Weisungen nicht Folge leisten. Weil diese sich von ihm trennen wollte, drohte er, dies würde sie „teuer bezahlen“. Als die Geschädigte ihm schrieb, sie wolle ihn nicht mehr sehen, antwortete er, nicht sie, sondern „er entscheide dies“. Im Oktober 2020 bedrohte der Angeklagte auch seine Ehefrau, die mittlerweile von dem außerehelichen Verhältnis erfahren hatte, mit dem Tode, was diese veranlasste, die Polizei zu informieren, eine Anordnung nach dem Gewaltschutz­gesetz zu erwirken und die Scheidung zu betreiben.

Am Tattag, forderte der Angeklagte über Whats App seine Ehefrau auf, ihm seine im Keller des Familienanwesens verwahrte Schusswaffe, eine „scharfgemachte“ SRS-Pistole zugänglich zu machen und holte diese bei ihr ab. Er tankte in Begleitung der Geschädigten an einer Tankstelle, wobei er den PKW der Geschädigten führte. Der Angeklagte und die auf dem Beifahrersitz sitzende Geschädigte hielten sich an einem unbekannten Ort auf. Der Angeklagte befand sich entweder außerhalb des stehenden Fahrzeugs an der Beifahrerseite oder hinter dem Beifahrersitz auf der Rückbank. Mittels der zuvor besorgten Schusswaffe schoss er aus einer Entfernung von höchstens einem Meter „entweder von hinten oder durch das geöffnete Beifahrerfenster oder durch die geöffnete rückwärtige Beifahrertür zwei Mal in den Kopf der Geschädigten, in der Absicht, diese zu töten.“ Ein Projektil traf im Bereich der rechten Vorderohrregion, durchsetzte das Kleinhirn und verblieb im Bereich des linken Unterkieferwinkels. Das andere Projektil traf im Bereich der rechten hohen Schläfe, trat im Bereich der linken Wange aus, durchschlug im Fußraum der Beifahrerseite die Fußmatte und verursachte im Bodenblech eine Prellmarke. Die Geschädigte verstarb an Ort und Stelle an zentralem Regulations­versagen. Die Strafkammer konnte nicht feststellen, in welcher Reihenfolge und mit welchem zeitlichen Abstand die beiden Schüsse abgegeben worden waren.

Nach telefonischer Kontaktaufnahme erklärte sich der mit dem Angeklagten befreundete U. bereit, diesem bei der Beseitigung der Leiche zu helfen. Gemeinsam verbrachten sie die weiterhin auf dem Beifahrersitz befindliche Leiche zwischen 23.54 Uhr und 1.38 Uhr nach O. , legten sie in der Böschung eines Wirtschafts­weges ab, übergossen sie mit Benzin und setzten sie in Brand. Am nächsten Morgen verbrachte der Angeklagte den PKW in eine professionelle Autoreinigung, wo er das in dem Fahrzeug befindliche Blut damit erklärte, er habe sich mit einem Freund im Auto geschlagen und diesem dabei die Nase gebrochen. Später wurde die zunächst nicht identifizierbare verkohlte Leiche von Spaziergängern entdeckt.

Aus den Gründen (Rz. 10–13)

Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Opfer, das sich keines Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehr­möglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen oder zu fliehen.

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungs­vorsatz geführten Angriffs. Anders als vom Landgericht angenommen beginnt der Angriff aber nicht erst mit der eigentlichen Tötungs­handlung, hier der Schussabgabe, sondern umfasst auch die unmittelbar davor liegende Phase. Ebensowenig erfordert heimtückisches Handeln ein heimliches Vorgehen. So kann ein Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig gegenübertritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen. Ein heimtückisches Vorgehen kann zudem auch in Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Tat noch fortwirken. Das ist etwa der Fall, wenn der Täter sein Opfer noch im Vorbereitungs­stadium unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeit in eine Lage aufgehobener oder stark eingeschränkter Abwehr­möglichkeit bringt und die so geschaffene Lage bis zur Tatausführung un­unterbrochen fortbesteht. Ob das Opfer zu Beginn des Tötungs­angriffs noch arglos war, ist in dieser Sachverhaltskonstellation ohne Bedeutung.

Subsumtion (Rz. 7, 14–15)

Das Landgericht hat den Angeklagten „lediglich“ wegen Totschlags verurteilt. Das Mordmerkmal der Heimtücke liege nicht vor, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen sei, dass sich die Geschädigte im Moment der ersten Schussabgabe keines Angriffs durch den Angeklagten auf ihr Leben versehen und der Angeklagte dies bewusst ausgenutzt habe. Ein dementsprechend zwingender Schluss sei nicht möglich. Es sei nämlich denkbar, dass der Angeklagte der Geschädigten die Schusswaffe zuvor vorgehalten und diese damit bedroht habe. Auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe komme nicht in Betracht, da ein Motiv des Angeklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne.

Nach den Feststellungen zum Tathergang besorgte sich der Angeklagte die Tatwaffe unmittelbar bevor er mit der Geschädigten zum späteren Tatort fuhr, was ein geplantes Vorgehen belegt. Damit, ob die auf dem Beifahrersitz sitzende Geschädigte an diesem – naheliegend abgelegenen – Tatort bei einer gegebenenfalls noch vor Schussabgabe erfolgten Bedrohung mit der Schusswaffe überhaupt eine Möglichkeit zur Flucht oder Verteidigung hatte, hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen; dies hat es aufgrund seines rechts­fehlerhaften Verständnisses des Mordmerkmals der Heimtücke verkannt.

Der aufgezeigte Mangel nötigt zur Aufhebung des Urteils. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird sich zudem eingehender als bisher geschehen mit dem Verletzungs- und Spurenbild auseinandersetzen müssen, um so gegebenenfalls nähere Er­kenntnisse zum Tathergang zu erhalten. Ebenso wird es bei der veranlassten Prüfung niedriger Beweggründe die für den Angeklagten festgestellte Eifersucht, seinen Kontrollwahn und seine gegenüber der Geschädigten geäußerten Todesdrohungen in den Blick zu nehmen haben.

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