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BGH, Beschl. v. 28.11.2023 – 6 StR 490/23: Zur gefährlichen Körperverletzung § 224 I Nr. 4 StGB

Leitsatz

§ 224 I Nr. 4 StGB setzt dem Grund der Strafschärfung entsprechend ein einverständliches Zusammenwirken von mindestens zwei Angreifern in dem Sinne voraus, dass diese dem Geschädigten körperlich gegenüberstehen und jener deshalb in seiner Verteidigungs­möglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist. Dafür kann genügen, dass ein Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungs­handlung des anderen bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. An dem erforderlichen Zusammenwirken fehlt es jedoch, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden.

Sachverhalt (Rn. 1–5)

A. B. wurde von einer ihm bis dahin unbekannten Person „grundlos körperlich attackiert“, wodurch er „ein blaues und geschwollenes Auge“ davontrug. Da er und sein Bruder, der Mitangeklagte M. B. , dies als „Angriff auf die Familienehre empfanden und somit Vergeltung üben wollten“, kamen sie überein, den Angreifer „gemeinschaft­lich mittels einfacher körperlicher Gewalt zur Rechenschaft“ zu ziehen und ihm ebenfalls ein „blaues Auge“ zuzufügen. Nachdem es ihnen gelungen war, den Angreifer als Bu. zu identifizieren, suchten sie am nächsten Tag nach ihm. Als sie mit einem von M. B. geführten Pkw durch die Innenstadt fuhren, wurden sie auf eine Personen­gruppe um Bu. aufmerksam, in der A. B. den Angreifer vom Vortag zu entdecken meinte. Deshalb wollten die Angeklagten die Mitglieder der Personen­gruppe ihrem Plan entsprechend „körperlich attackieren“, um dadurch insbesondere an dem vermeintlichen Täter Vergeltung zu üben. Zu diesem Zweck fuhr M. B. mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Personen­gruppe zu. Der Geschädigte S. und eine weitere Person, die der Gruppe angehörten, wichen dem Fahrzeug aus, woraufhin M. B. dieses mittels einer Vollbremsung zum Stillstand brachte. Dann ergriff er ein in der Seitenablage der Fahrertür befindliches Pfefferspray, stieg aus, „stürzte“ auf die Gruppe zu und sprühte der ihm am nächsten stehenden Person, bei der es sich um Bu. handelte, Pfefferspray ins Gesicht, wodurch dieser Schmerzen erlitt. Gleichzeitig stieg A. B. auf der Beifahrerseite aus und stach mit einem Stichwerkzeug zweimal von oben in Richtung des Halses des Geschädigten S. , den er irrtümlich für Bu. hielt. S. setzte sich zur Wehr, indem er seinen linken Arm nach oben riss. Infolgedessen traf ihn das Stichwerkzeug am linken Oberarm und an der linken Oberkörperseite. „Unmittelbar nach dem Versprühen des Pfeffersprays“ stiegen die Angeklagten wieder in den Pkw ein und fuhren davon. Aufgrund ihres gemeinsamen Tatplans rechneten beide Angeklagten mit einem körperlichen Angriff des jeweils anderen auf die Personen­gruppe und nahmen daraus resultierende Verletzungen bzw. Schmerzen des durch den anderen Angegriffenen zumindest billigend in Kauf. Beide waren sich auch „darüber bewusst, dass ihrem gemeinschaft­lichen Vorgehen eine besondere Gefährlichkeit zukam, da hierdurch die Verteidigungs­möglichkeiten der Angegriffenen erheblich reduziert wurden“. Sie waren sich überdies der Gefährlichkeit des jeweils von ihnen eingesetzten Tatmittels – Pfefferspray bzw. Stichwerkzeug – bewusst. Beide wussten aber nicht, dass der jeweils andere ein Tatwerkzeug einsetzen wollte, und rechneten auch nicht damit, weil der Einsatz von Tatmitteln nicht von ihrem gemeinsamen Tatplan umfasst war.

Das LG hat die Angeklagten jeweils der gefährlichen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen, den Angeklagten M. B. zudem der Nötigung schuldig gesprochen.

Die Verurteilung des Angeklagten A. B. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen hält rechtlicher Über­prüfung

nicht in jeder Hinsicht stand.

Aus den Gründen (Rn. 6–8)

Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten A. B. wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten S. nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB. Auch die Annahme des Landgerichts, dass A. B. sich die von M. B. zum Nach-

teil des Geschädigten Bu. begangene Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) gemäß § 25 Abs. 2 StGB als Mittäter zurechnen lassen muss, ist aus Rechts­gründen nicht zu beanstanden. Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass A. B. jeweils auch den Qualifikations­tatbestand des

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verwirklicht hat.

Dieser setzt dem Grund der Strafschärfung entsprechend ein einverständliches Zusammenwirken von mindestens zwei Angreifern in dem Sinne voraus, dass diese dem Geschädigten körperlich gegenüberstehen und jener deshalb in seiner Verteidigungs­möglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist. Dafür kann genügen, dass ein Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungs­handlung des anderen bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. An dem erforderlichen Zusammenwirken fehlt es jedoch, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden.

So verhält es sich hier. Die Angeklagten standen jeweils nur einem Tatopfer körperlich gegenüber und stiegen unmittelbar nach der von ihnen ausgeführten Tathandlung wieder in das Fahrzeug ein, um den Tatort zu verlassen. Den Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass sich die Angeklagten bei der Ausführung ihrer jeweiligen Tathandlung gegenseitig unter­stützten.

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