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BGH, Urt. v. 08.03.2023 – 6 StR 378/22: Zur Nötigung

Sachverhalt (Rz 3–10)

Der Angeklagte betreute als Hochschul­lehrer der Universität das durch ein Stipendium geförderte Promotions­vorhaben der aus Vietnam stammenden, nur unzureichend Deutsch sprechenden Nebenklägerin Ho. Nachdem es anfänglich zu nur wenigen persönlichen Kontakten zwischen beiden gekommen war, vereinbarte der Angeklagte nach etwa zehn Monaten „regelmäßigere Gesprächstermine“ außerhalb der regulären Dienstzeiten in dem ihm zugewiesenen Büro der forst­wissenschaft­lichen Fakultät.

Als die Nebenklägerin bei einer Besprechung dem Angeklagten mitteilte, dass sie vergessen habe, sich zu einem Seminar anzumelden, war dieser „wütend“. Er schloss die Bürotür ab, steckte den Schlüssel ein und kündigte der Nebenklägerin an, dass er sie „wegen ihres Fehlers nun bestrafen müsse“. Dazu wolle er ihr mit einem etwa 60 cm langen Bambusstock auf das unbekleidete Gesäß schlagen. Als die Nebenklägerin das ablehnte, kündigte der Angeklagte an, in diesem Fall die Zusammenarbeit mit ihr nicht fortzusetzen. Dies wollte die Nebenklägerin unbedingt vermeiden. Sie fühlte sich beruflich und – mit Blick auf notwendige Bescheinigungen für ihr Stipendium – finanz­iell vom Angeklagten abhängig. Aus Angst vor den von ihm angekündigten Folgen und „aufgrund der momentanen Situation – abgeschlossenes Büro, keine weiteren Mitarbeiter im Institut – willigte“ sie in ihre „Bestrafung“ ein. Auf Aufforderung des Angeklagten „positionierte“ sie sich vor einem Tisch. Der hinter ihr stehende Angeklagte schlug 15 Mal auf ihr bekleidetes Gesäß, um seine Macht gegenüber der Nebenklägerin zu demonstrieren.

Dies wiederholte sich in entsprechender Weise acht weitere Male.

Danach forderte der Angeklagte sie in zwei Fällen erneut auf, ihr Gesäß zu entblößen, weil er sie durch die Schläge „für einen künftigen Job vorbereiten“ wolle. Es sei absehbar, dass „ihr Chef auf ihren Schwachstellen herumhacken werde“. Er kündigte bei diesen beiden Taten allerdings jeweils nicht ausdrücklich an, die Zusammenarbeit mit ihr im Falle einer Weigerung zu beenden. Die Nebenklägerin kam seiner Aufforderung gleichwohl jeweils nach, „da ihr diese Androhung des Angeklagten im Zusammenhang mit den früheren Bestrafungen im Gedächtnis noch präsent war“. Sodann schlug er jeweils mindestens zehnmal schmerzhaft mit der flachen Hand auf das unbekleidete Gesäß der sich wiederum vor dem Schreibtisch „positionierenden“ Nebenklägerin.

In sämtlichen Fällen umarmte der Angeklagte die Nebenklägerin nach der vollzogenen „Bestrafung“ und verlangte, dass sie sich für die erhaltenen Schläge bedanken solle, was diese mit den Worten „Thank you“ auch tat. Nur in einem Fall weinte sie leise und entgegnete nichts. In einem letzten Fall schlug ihr der Angeklagte unmittelbar nach ihrem Erscheinen zu einem Besprechungs­termin in seinem Büro „kraftvoll mit der flachen Hand einmal auf jede – bekleidete – Brust, was für die zu diesem Zeitpunkt noch stillende Zeugin“ schmerzhaft war. Er wollte sie damit wegen eines Fehlers in einer Präsentation bestrafen.

Der Angeklagte nahm die Schmerzen und Verletzungen der Nebenklägerin mit Blick auf die von ihm durch die Taten jeweils erstrebte „Machtausübung“ billigend in Kauf. Bei den Schlägen auf das unbekleidete Gesäß „handelte er auch aus einer sexuellen Motivation heraus“.

Aus den Gründen (Rz. 11–17)

Die Strafkammer hat die Taten als gefährliche Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung in vier Fällen, als Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung in weiteren vier Fällen sowie als Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in zwei Fällen gewürdigt. In den letztgenannten beiden Fällen hat sie sich abweichend von den übrigen Taten von einer verwirklichten idealkonkurrierenden Nötigung (§ 240 Abs. 1 und 4 Satz 2 Nr. 3 StGB in der bis zum 9. November 2016 geltenden Fassung) nicht zu überzeugen vermocht.

Das Rechts­mittel der Staats­anwaltschaft hat Erfolg. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten auch wegen Nötigung in den obigen Fällen verneint hat, hält rechtlicher Über­prüfung nicht stand.

Zwar hat die Strafkammer rechtlich zutreffend angenommen, dass sich die in den acht vorangegangenen Fällen jeweils vom Angeklagten ausdrücklich geäußerte Absicht, bei Widerspruch der Nebenklägerin die Betreuung ihres Promotions­vorhabens einzustellen, als ein Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels erweist. Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm rechts­fehlerfrei getroffenen Feststellungen eine Strafbarkeit wegen tateinheitlicher Nötigung aber allein deshalb abgelehnt (§ 240 Abs. 1 StGB), weil der Angeklagte in beiden Fällen „nicht explizit angedroht“ habe, bei einer verweigerten Einwilligung in die „Bestrafung“ die weitere Zusammenarbeit mit der Nebenklägerin zu beenden. Nicht in den Blick genommen hat die Strafkammer eine mögliche konkludente Drohung des Angeklagten.

Drohen bedeutet seelisches Einwirken auf den Bedrohten in Gestalt einer auf Angst und Furcht abzielenden Ankündigung eines Übels. Das Übel muss also irgendwie vom Täter in Aussicht gestellt worden sein; es genügt nicht, wenn es von einem anderen nur erwartet wird. Auf die äußere Form, in der die Drohung zum Ausdruck gebracht wird, kommt es jedoch nicht an. Drohen kann man daher nicht nur mit klaren und eindeutigen Worten, sondern auch mit allgemeinen Redensarten, mit unbestimmten Andeutungen in versteckter Weise, selbst in schlüssigen Handlungen, sofern nur das angekündigte Übel genügend erkennbar ist. Aber auch frühere Drohungen können eine in die Tatgegenwart fortwirkende Droh­wirkung entfalten. Deshalb kann im Einzelfall auch das Ausnutzen einer „Drohkulisse” ausreichen, wenn durch eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Täters eine finale Verknüpfung mit dem Nötigungs­erfolg hergestellt und dies vom Opfer als Drohung empfunden wird. In diese Bewertung sind neben den Erklärungen des Täters namentlich auch das Tatbild früherer Zwangs­lagen sowie deren Identität mit der aktuellen Tatsituation, die Art des zuvor angedrohten Übels und der zeitliche Abstand zueinander einzustellen.

Dies zugrunde gelegt, war die Würdigung des Tatgeschehens auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer konkludenten Drohung geboten. In Betracht kommt hier eine fortdauernde Wirkung der vorangegangenen Drohungen. Für die notwendige finale Verknüpfung mit dem Nötigungs­erfolg sprechen insbesondere das festgestellte eingeschliffene Verhaltensmuster und das identische Gepräge der auch zeitlich zusammenhängenden Zwangs­lagen. Aussagekraft kommt ferner dem – wegen der festgestellten beruflichen wie finanz­iellen Abhängigkeit vom „Doktorvater“ – besonderen Gewicht des in Aussicht gestellten Übels und den Feststellungen zum Vorstellungs­bild der Nebenklägerin in beiden Tatsituationen zu. Ihr waren in beiden Fällen die früheren Drohungen „präsent“. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass der Angeklagte die von ihm geschaffene „Drohkulisse“ in beiden Fällen ausgenutzt hat.

Die Nötigung würde angesichts der Tatumstände jeweils auch nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter die Körperverletzung im Amt (§ 340 Abs. 1 StGB) zurücktreten, sondern zu ihr im Verhältnis der Tateinheit nach § 52 StGB stehen.

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