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BGH, Urt. v. 14.06.23 – 1 StR 399/22: Zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe

Sachverhalt: (Rn. 2–7)

Ab Anfang Sommer 2021 führte der Angeklagte eine Beziehung mit D. Diese lebte zusammen mit ihren 5 Kindern, dar­unter war der ca. 2 Jahre alte N. Der Angeklagte kümmerte sich in zunehmenden Umfang um N, indem er ihn z.B. wickelte, duschte und fütterte. Mit dieser Zeit wurde der Angeklagte ihm gegenüber körperlich übergriffig, woraufhin N regelmäßig schrie und weinte. Zu anderen Gelegenheiten behandelte der Angeklagte den Jungen in körperlich unangemessener und grober Weise. Insbesondere im Bereich des Kopfes wies das Kind häufig Hämatome und Beulen auf. In Anwesenheit des Angeklagten reagierte es ängstlich.

Nachdem der Angeklagte sich dauerhaft in der Wohnung der D aufhielt, zeigte der Körper des Jungen fortan zunehmend blaue Flecken. Zu jeweils nicht genau feststellbaren Zeitpunkten in der Zeit spätestens vom 16. Oktober 2021 bis wenige Tage vor dem 21. Oktober 2021 fügte der Angeklagte N. durch mehrere Handlungen unter anderem folgenden Verletzungen zu: Wangenhämatome infolge mehrfachen kräftigen Griffs in – gegebenenfalls Schläge auf – die Wangen, Bissverletzungen auf der rechten Wange, dem rechten Unter­schenkel und dem rechten Oberschenkel, Hautdefekte und Hämatome durch festen Zug an beiden Ohrmuscheln.

Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt am 18. Oktober oder 19. Oktober 2021 trat der Angeklagte dem auf dem Rücken liegenden N. unter massiver Kraftaufwendung auf den Bauch. Er rechnete mit etwaigen tödlichen Folgen des Trittes und nahm diese zumindest billigend in Kauf. Dies hatte eine Darmlähmung zur Folge, an deren Folgen N am Abend des 21. Oktobers 2021 verstarb. Während der dem Kind beigebrachte Stampftritt als solcher sicherlich schmerzhaft war, konnte die Strafkammer etwaige aus den Folgereaktionen resultierende, für Außen­stehende erkennbare Schmerzen nicht mit Sicherheit feststellen. Der Angeklagte war im Zeitpunkt des Stampftrittes uneingeschränkt schuld­fähig.

Aus den Gründen:

Das Landgericht lehnte das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe ab. Dessen Begründung hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußere und inneren für die Handlungs­antriebe des Täters maßgeblichen Faktoren. Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen nach der Rechts­prechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren. Entscheidungs­erheblich sind demnach die Gründe, die den Täter in Wut oder Verzweiflung versetzt oder ihn zur Tötung aus Hass oder Eifersucht gebracht haben. Zur Bestimmung der vorherrschenden Tatmotivation dürfen somit auch vorangegangene Geschehnisse beachtet werden. Dem Gericht steht dabei bei den zu treffenden Wertungen ein Beurteilungs­spielraum zu, wobei es die genannten Maßstäbe erkennen und den Sachverhalt vollständig würdigen muss. (Rn. 15)

Hier greift die vorgenommene Gesamtwürdigung zu kurz. Das Landgericht hätte nicht nur auf den Zeitpunkt der Tötungs­handlung abstellen müssen, sondern auch das vorherige Geschehen miteinbeziehen müssen. (Rn. 16)

Die körperlichen Misshandlungen des N durch den Angeklagten in den Wochen zuvor waren visuell durch Außen­stehende sichtbar; sein empfundenes Leid brachte N zudem durch Schreie, Weinen und Wesensveränderungen zum Ausdruck. Der Angeklagte nahm dies jeweils hin. Ungeachtet seiner beherrschenden Stellung über das von ihm abhängige Kind sah er sich durch dessen Reaktionen nicht zu einer Mäßigung seines Verhaltens veranlasst, sondern intensivierte die Misshandlungen vielmehr. Dass der Täter auch eigene Interessen verfolgt, ist zwar der Regelfall der vorsätzlichen Tötung eines Anderen und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne Weiteres die Qualifikation der Tat als Mord. Die hier festgestellte Gleichgültigkeit gegenüber den Befindlichkeiten des ihm ausgelieferten Kleinkindes über einen verhältnismäßig langen Zeitraum hinweg hätten jedoch in Bezug zur Tat gesetzt und auf möglich Rückschlüsse zu dominierenden Beweggründen unter­sucht werden müssen. (Rn. 17)

Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist. Eine Verurteilung wegen Mordes ist auch möglich, wenn unter mehreren in Betracht kommenden Beweggründen jeder dieser als niedrig anzusehen ist. (Rn. 19)

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