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BGH, Urt. v. 22.06.2023 – 4 StR 481/22: Autodiebstahl, Kennzeichendiebstahl Urkunden­fälschung, und versuchter Diebstahl in einem Juweliergeschäft

Sachverhalt:

Die Angeklagten hielten sich am Nachmittag des 30. Juni 2019 an einem Baggersee auf. R beobachtet wie D sein Auto (einen Mercedes C 220) in der Nähe des Sees abstellte und die Fahrertür nicht abschloss. Er faste den Entschluss das Fahrzeug wegzunehmen. Mit Hilfe des Fahrzeugs sollte der bereits zuvor gefasste Tatplan umgesetzt werden. Mit dem Auto sollte gegen die Scheibe des Juweliergeschäfts in K gefahren werden, um den Schmuck und wertvolle Uhren an sich zu bringen. Hierbei war im bewusst, dass Fahrzeug hierdurch beschädigt werden würde und es zu einer erheblichen Wertminderung kommen würde. R teilte S mit, dass die Beifahrertür nicht abgeschlossen ist. Beide begaben sich daraufhin zum Wagen und fanden im Handschuhfach einen Ersatzschlüssel. R setzte auf den Beifahrersitz und fuhr mit S los.

Am darauffolgenden Nachmittag fuhren die Angeklagten mit dem Wagen der Dr. (einen VW-Golf) zu einem Parkplatz in K, entfernten die Kennzeichen eines ebenfalls dort geparkten Fahrzeugs und brachten diese an dem VW-Golf an.

Danach fuhren R und S mit zwei weiteren Personen im Mercedes in die Innenstadt. Dr. folgte ihnen und stellte den Golf absprachegemäß mit laufendem Motor an einer Einfahrt in der Fußgängerzone ab, in der sich das Juweliergeschäft befand. R fuhr den Mercedes mit 11 km/h in die Fußgängerzone, hupte um die Passanten zu warnen und fuhr dann mit einem „ausholenden Bogen“ in die Fensterfront des Ladenlokals. Dabei beschleunigte er auf mind. 24 km/h. R handelte in der Absicht die Glasscheibe zu zerstören, sodass S und die beiden anderen Beteiligten die in der Auslage liegen Schmuckstücke ergreifen und in die mitgebrachten Rucksäcke verstauen können. Die Beute sollte vom Tatort wegbracht und dann gewinnbringend verkauft werden. Jedoch waren die Schaufensterscheiben aus Panzerglas und gingen somit nicht zu Bruch. Die Auslage wurde in den Innenraum des Geschäfts geschleudert. Hier hielt sich allerdings zu diesem Zeitpunkt niemand auf. Nachdem die Beteiligten festgestellt hatten, dass die Scheibe auch einem zweiten Aufprall standhalten würde beschlossen sie zu fliehen. R setzte das Auto zurück und fuhr mit einer Höchstgeschwindigkeit von 51 km/h durch die Fußgängerzone. Hierbei hupte R wiederholt um die Fußgänger zu warnen.

R fuhr anschließend entgegen der Fahrtrichtung in eine Einbahnstraße ein. Dort kam ihm W mit ihrem Wagen entgegen. Trotz Hupe und Lichthupe blieb W weiter mit ihrem Fahrzeug stehen. R erkannte, dass nicht genug Platz vorhanden ist, fuhr jedoch trotzdem weiter und beschädigte hierdurch die beiden PKWs. Hierbei riss der Mercedes auch einen auf der anderen Seite stehenden Bauzaun um und beschädigte diesen.

Das LG hat den R wegen Diebstahls in zwei Fällen, davon einem Fall in Tateinheit mit Urkunden­fälschung, und wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen. S wurde wegen Diebstahls in Tateinheit mit Urkunden­fälschung und wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen verurteilt. Im Übrigen wurde er freigesprochen.

Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staats­anwaltschaft hat zum Teil Erfolg.

Aus den Gründen:

  1. Der Freispruch des S von der Tat vom 30. Juni 2019 hält der revisionsrechtlichen Über­prüfung stand. Es liegt insoweit keine psychische Beihilfe zum Diebstahl am Mercedes vor §§ 242 I, 27 StGB. Nach den Feststellungen des LG hat S lediglich in Kenntnis des Vorhabens des R auf dem Beifahrersitz Platz genommen. „Nach ständiger Rechts­prechung des Bundes­gerichtshofs genügt die bloße Anwesenheit am Tatort in Kenntnis einer Straftat selbst bei deren Billigung nicht, um die Annahme einer Beihilfe zu tragen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 – 2 StR 64/20 Rn. 8; Beschluss vom 18. Juni 2019 – 5 StR 51/19 Rn. 6; Beschluss vom 4. Februar 2016 − 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137; Beschluss vom 22. Dezember 2015 – 2 StR 419/15 Rn. 11; jew. mwN). Ein „Dabeisein“ kann die Tatbegehung im Sinne eines aktiven Tuns zwar auch fördern oder erleichtern, wenn die „Billigung der Tat“ gegenüber dem Täter zum Ausdruck gebracht wird, dieser dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt wird und der Ge-hilfe sich dessen bewusst ist. Dafür bedarf es jedoch sorgfältiger Feststellungen dazu, dass und wodurch die Tatbegehung in ihrer konkreten Gestalt objektiv gefördert oder erleichtert wird und dass der Gehilfe sich dessen bewusst war (BGH, Beschluss vom 21. April 2020 – 4 StR 287/19, NStZ 2020, 730, 731 f. Rn. 16).“ Rn. 46 Ein objektiv fördernder Beitrag des S konnte nicht festgestellt werden.
  2. Die Urkunden­fälschung steht nicht nur mit dem Diebstahl der Kfz-Kennzeichen, sondern auch mit dem versuchten Diebstahl zum Nachteil des Inhabers des Juweliergeschäfts in Tateinheit § 52 StGB. Das Herstellen einer unechten Urkunde und der hierauf folgende Gebrauch bilden als natürliche Handlungs­einheit eine Tat der Urkunden­fälschung nach § 267 StGB, sofern der Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden Gesamtvorsatz des Täters entspricht. „Trifft ein anderes Delikt mit einer einheitlichen Urkunden­fälschung in diesem Sinne tateinheitlich zusammen, hat dies zur Folge, dass sämtliche Gesetzesverstöße, die nicht deutlich schwerer wiegen, zu einer Tat im materiell-rechtlichen Sinne verklammert werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2022 – 4 StR 88/22 Rn. 4; Beschluss vom 18. Februar 2021 – 4 StR 279/20, NStZ 2022, 227, 228; Urteil vom 17. Ok-tober 2018 – 4 StR 149/18, NZV 2018, 37; Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 StR 528/13, NStZ 2014, 272; Fischer, aaO, Rn. 60 mwN).“ Rn. 12 Das der Diebstahl hier im Versuchsstadium stecken geblieben ist, rechtfertigt ebenfalls keine andere Bewertung der Tat. Die anschließenden Geschehnisse in der Einbahnstraße stehen hierzu in Tatmehrheit § 53 StGB.
  3. Das Landgericht verurteilte R wegen der Fahrt in das Schaufenster zu Recht nur wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in zwei Fällen. Es liegt kein versuchter Diebstahl mit Waffen gem. § 244 I Nr. 1 Buchst. a) Alt. 2 StGB. Ein entsprechender Tatentschluss liegt nicht vor. Denn hierfür müsste der Tatentschluss darauf gerichtet sein, dass ein anderes gefährliches Werkzeug mitgeführt wird. Dies bestimmt sich nach allein objektiven Kriterien. Hierbei ist die objektive Bestimmung und Beschaffenheit des Gegenstandes in den Blick zu nehmen. „Für die daran anknüpfende Bewertung als „gefährlich“ kommt es maßgeblich darauf an, ob von dem Gegenstand danach eine abstrakte Gefahr ausgeht, die derjenigen einer Waffe im technischen Sinne nahekommt, sodass allein deshalb eine Mitführung dieses Gegenstands bei der Tat als latent gefährlich angesehen werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2008 – 3 StR 246/07, BGHSt 52, 257, 269 Rn. 34 f. [Taschenmesser] mwN; daran anknüpfend BGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 1 StR 347/20, NStZ-RR 2021, 107 [Zimmermannshammer]; Beschluss vom 21. Juli 2012 – 5 StR 286/12, NStZ 2012, 570 [Schraubendreher bei objektiv gegebener Eignung zur Verwendung als Stichwerkzeug]).“ Rn. 1 Ein PKW ist bei objektiver Betrachtung kein Gegenstand der dazu bestimmt ist Kraft gegen ein anderes Objekt zu entfalten oder zu verstärken. Hier unterscheidet sich der PKW bereits von anderen alltäglichen Werkzeugen, wie etwa einem Hammer oder einem Schraubendreher. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich ein Fahrzeug unter krasser Pervertierung des Zwecks auch dazu missbrauchen lässt, Sachen zu zerstören oder Menschen zu verletzen.
  4. Rechts­fehlerfrei erweisen sich ebenfalls die Erwägungen des Landgerichts, welches einen Tatentschluss im Hinblick auf eine gefährliche Körperverletzung gem. §§ 224, 224 I Nr. 2 Alt. 2, II, 22, 23 I StGB während der Fahrt in das Schaufenster verneint. Hierzu hat das Landgericht das Vor- und Nachtat­verhalten (Warnung durch Hupen) in den Blick genommen und daraus einen zulässigen Schluss in Bezug auf die Verletzung von Kunden und Mitarbeiter gezogen. Zudem hatten die Angeklagten vorher das Juweliergeschäft in Betracht genommen und wussten das es sich um ein hochpreisiges Juweliergeschäft mit für gewöhnlich wenig Laufkundschaft handelte. Sie durften somit darauf vertrauen, dass niemand zu Schaden kommt. Weiter sollte ebenfalls nur das Schaufenster zerstört werden.
  5. Entgegen der Auffassung der Revision kommt § 315b I Nr. 3 StGB zum Nachteil der Passanten nicht in Betracht, denn es ergibt sich aus den Urteilsgründen keine Situation eines „Beinnahe-Unfalls“. Auch ein entsprechender Tatentschluss lässt sich nicht feststellen §§ 315b I Nr. 3, 22, 23 I StGB.
  6. Die Einordnung der Geschehnisse in der Einbahnstraße als Sachbeschädigung in zwei tateinheitlichen Fällen enthält ebenfalls keine die Angeklagten begünstigenden Rechts­fehler. § 315b I Nr. 3 StGB liegt mangels bewusst zweckwidrigen Einsatzes des Fahrzeugs nicht vor, die Voraussetzungen an einen verkehrs­fremden Inneneingriffs nicht erfüllt. R handelte nicht in der erforderlichen Pervertierungs­absicht. Das Fahrzeug verwendete er in erster Linie weiterhin als Fortbewegungs­mittel. Dabei handelte er zwar grob verkehrs­widrig, aber brachte den von ihm gesteuerten PKW nicht bewusst zweckwidrig in verkehrs­feindlicher Einstellung zum Einsatz. Die Beschränkung nach §§ 154 I, 154a I StPO bezogen auf die Delikte der Nötigung (§ 240 StGB) und unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) war wirksam. Die Geschehnisse in der Einbahnstraße stehen zu den vorhergegangenen Taten in Tatmehrheit § 53 StGB.

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