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BGH, Urt. v. 30.03.2023 – 4 StR 234/22: Zur Heimtücke und zu § 224 I Nr. 2

Sachverhalt (Rz. 1 – 6)

Nach den Feststellungen fasste der Angeklagte den Entschluss, seine Ehefrau, die Nebenklägerin, zu töten, da er eifersüchtig auf ihre vermeintlichen Kontakte zu einem anderen Mann war und befürchtete, dass sie ihn mit den Kindern verlassen könnte. Zudem missfiel ihm ihr westlicher Lebens- und Kleidungs­stil und er war verärgert, dass sie seine sexuellen Annäherungen zurückgewiesen hatte.

Am 19. Oktober 2020 täuschte der Angeklagte seiner Ehefrau vor, mit ihr nach N. zu fahren, um dort einen Pkw zu kaufen. Tatsächlich beabsichtigte er jedoch, sie zu töten und dabei auszunutzen, dass sie sich keines Angriffs auf ihr Leben versah und deshalb in ihren Abwehr­möglichkeiten eingeschränkt war.

Während der Fahrt gerieten sie in einen Streit, in dem der Angeklagte seine Frau beschuldigte, mit einem anderen Mann intim gewesen zu sein, und ihr drohte, sie umzubringen, wenn sie nicht den Namen nennt. Die Nebenklägerin wies diese Vorwürfe zurück. Danach erhöhte er die Geschwindigkeit des Fahrzeugs auf 155 km/h und fuhr absichtlich im Wissen um die Lebens­gefährlichkeit seines Tuns und mit Tötungs­absicht in einen Sattelzug. Als er nach dem Aufprall erkannte, dass die Nebenklägerin überlebt hatte, schlug er ihr aus Verärgerung zweimal gegen den Brustkorb.

Die Ehefrau erlitt körperliche Verletzungen und musste zwei Tage im Krankenhaus behandelt werden. Sie entwickelte zudem eine posttraumatische Belastungs­störung und eine schwere depressive Episode, die eine längere ambulante Behandlung erforderte. Der Angeklagte wurde leicht verletzt und verließ das Krankenhaus, ohne sich nach dem Zustand seiner Frau zu erkundigen.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Aus den Gründen

„Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechts­fehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungs­sätze verstößt. Dabei verpflichten §§ 261 und 267 StPO den Tatrichter, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht.“ (Rz. 12)

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt. Zum einen hat der Angeklagte lediglich in seinem letzten Wort erklärt, er habe die Nebenklägerin nicht töten wollen. Zum anderen lassen sich jedoch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe die Umstände entnehmen, aus denen das Landgericht den Schluss auf eine Tötungs­absicht des Angeklagten gezogen hat. (Rz. 13 – 15)

Zur Eigengefährdung des Angeklagten durch das Auffahren auf den Sattelzug: „Eine Beweisregel, nach der es einem Tötungs­vorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht, gibt es nicht. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr kann zwar eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Dies gilt aber nur, wenn die Verhaltensweise nicht – wie hier – von vornherein darauf angelegt ist, eine andere Person zu verletzen oder einen Unfall herbeizuführen.“ (Rz. 18)

Zum Mordmerkmal Heimtücke: „Heimtückisch handelt, wer die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Opfer, das sich keines erheblichen Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehr­möglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungs­vorsatz geführten Angriffs, also der Eintritt des Tötungs­delikts in das Versuchsstadium.“ Dabei ist in der Rechts­prechung anerkannt, „dass bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat das heimtückische Vorgehen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB auch in Vorkehrungen liegen kann, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Wird das Tatopfer in einen Hinterhalt gelockt oder ihm eine raffinierte Falle gestellt, kommt es daher nicht mehr darauf an, ob es zu Beginn der Tötungs­handlung noch arglos war. Infolge seiner Arglosigkeit wehrlos ist dann auch derjenige, der in seinen Abwehr­möglichkeiten fortdauernd so erheblich eingeschränkt ist, dass er dem Täter nichts Wirkungs­volles mehr entgegenzusetzen vermag.“  (Rz. 21 f.)

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt: Zwar kann die Annahme, der Angeklagte ging bei Versuchsbeginn (Fahrspurwechsel) noch von der Arglosigkeit der Nebenklägerin aus, nicht belegt werden, da er ihr bereits zuvor seine Tötungs­absicht offenbart hatte. Jedoch stellte er der arglosen Nebenklägerin tatplanmäßig eine Falle, indem er sie mit Tötungs­absicht unter dem Vorwand eines Autokaufs in den Pkw lockte. Somit entstand eine bis zur Tatbegehung fortdauernde Lage, in der ihre Verteidigungs­möglichkeiten eingeschränkt waren, was er bei Herbeiführung der Kollision bewusst ausnutzte. (Rz. 23 – 25)

Zur gefährlichen Körperverletzung: Der Qualifikations­tatbestand des § 224 I Nr. 5 ist un­problematisch erfüllt. Auch eine Bejahung des § 224 I Nr. 2 (Begehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs) ist hier noch möglich. „Zwar erfordert eine Verurteilung nach dieser Vorschrift, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss daher die körperliche Misshandlung unmittelbar durch den Anstoß des vom Täter verwendeten Fahrzeugs ausgelöst worden sein. Dies ist hier aber der Fall, denn die Verletzungen der Nebenklägerin sind ersichtlich durch einen Kontakt mit dem kollisionsbedingt abrupt zum Stehen gebrachten Tatfahrzeug entstanden. (Rz. 26)

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