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BGH, Beschl. v. 10.01.2024 – 2 StR 438/23: Zum Mord

Leitsätze

  1. Bedingten Tötungs­vorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein. (Rn. 10)
  2. Beide Elemente des Vorsatzes sind durch tatsächliche Feststellungen zu belegen und iRd Beweiswürdigung umfassend zu prüfen. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände erfolgen, in die der Tatrichter auch die im Einzelfall in Betracht kommenden, den Vorsatz in Frage stellenden Umstände einzubeziehen hat. (Rn. 11)
  3. Zwar liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen regelmäßig nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen und fortgesetzt hat, einen solchen Erfolg in Kauf nimmt. Aber auch in einem solchen Fall ist das Tatgericht nicht von einer umfassenden Prüfung beider Elemente des bedingten Tötungs­vorsatzes und ihrer Darlegung entbunden. Insbesondere bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements ist es regelmäßig erforderlich, dass sich das Tatgericht auch mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in Betracht zieht. (Rn. 11)

Sachverhalt (Rn. 1–8)

Die beiden Angeklagten, die sich bereits aus Georgien kannten, trafen in G. wieder aufeinander, wo sie jeweils einen Asylantrag gestellt hatten. Hier kam es zu regelmäßigen Treffen, an denen der Mitangeklagte T. teilnahm und bei denen es auch um den Erwerb und den Konsum von Betäubungs­mitteln, insbesondere Heroin, ging. Dieses kauften sie unter anderem bei dem später getöteten H. ein, der Betäubungs­mittel aus seinem Appartement heraus verkaufte.

Auch am Abend des 28. Februar 2022 kam es zu einem Treffen der beiden Angeklagten und des T. Mangels ausreichender Geldmittel zum Erwerb von Betäubungs­mitteln planten sie zunächst einen Über­fall auf einen Kiosk, um von dem erbeuteten Geld Heroin bei H. zu kaufen. Da der Kiosk gegen 20.45 Uhr bereits geschlossen war, entschieden sie gemeinsam, zur Wohnung von H. zu fahren und den dort befindlichen Heroinvorrat gewaltsam zu entwenden. Dabei sollten die Angeklagten P. und V. H. und ggf. den Geschädigten R. , mit dessen Anwesenheit sie rechneten, schnell überwältigen, ohne jedoch lebens­bedrohliche Gewalt auszuüben, während T. zur Absicherung und späteren gemeinsamen Flucht bei dem Fahrzeug verbleiben sollte. Gegen 21.10 Uhr klopften P. und V. an H. s Wohnungs­tür. Nachdem der Geschädigte R. die Tür öffnete, schlugen sie ihn sofort nieder, drängten in die Wohnung und führten in der Folge Gewalthandlungen gegen H. und R. aus. Welcher der beiden Angeklagten jeweils die einzelnen Gewalthandlungen ausgeführt hat, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Es kam zu acht Schlägen bzw. Tritten gegen den Kopf und Oberkörper von R. , der zu Boden fiel und mit dem Kopf aufschlug. P. und V. ließen von ihm ab, nachdem sie seine Hände mit Schnürsenkeln gefesselt hatten. Währenddessen versuchte H. , R. mit einem Gummihammer in der Hand zur Hilfe zu kommen, und lief auf die beiden Angeklagten zu. Diese übten nunmehr „massivste Gewalt“ in Form einer nicht bezifferbaren Anzahl an Schlägen und Tritten gegen Kopf, Hals und Oberkörper aus, zudem würgte einer der oder würgten beide Angeklagten H. so stark, dass es zu punktförmigen Einblutungen in beiden Augenlidern kam. P. und V. entschlossen sich „spontan“, über den ursprünglichen Plan hinausgehend mit massiver Gewalt auf den am Boden liegenden H. einzuwirken, wobei sie das Vorgehen des jeweils anderen billigten und weiterhin das Ziel verfolgten, Heroin und andere wertvolle Dinge zu entwenden. Hierbei erkannten sie und nahmen billigend in Kauf, dass H. in Folge der Gewaltausübung gegen empfindliche Körperstellen zu Tode kommen könnte. Nachdem die Angeklagten feststellten, dass H. sich ob seiner schweren Verletzungen nicht mehr vom Boden aufrichten konnte, verzichteten sie darauf, ihn an seinen Händen zu fesseln, knebelten ihn und wickelten eine Decke um seinen Kopf. Sie durchsuchten die Wohnung und nahmen mindestens 11,68 Gramm Heroin, 150 € Bargeld sowie eine Schreckschusspistole, ein Jagdmesser, ein Multitool und zwei Handys an sich. Anschließend flohen sie gegen 21.22 Uhr durch einen Sprung vom Balkon des im Hochparterre gelegenen Appartements, versteckten die mitgenommenen Gegenstände mit Ausnahme des Heroins und des Bargelds unter Zweigen in einem Grünstreifen und fuhren mit T. zu dessen damaliger Partnerin, der Zeugin Hi. In deren Wohnung teilten sie das Heroin und das Bargeld unter­einander auf und konsumierten jeweils eine Konsumeinheit H. erlitt multiple Hämatome, Brüche der Augenhöhle, des Oberkiefers, des Zungenbeins und des Kehlkopfhornes, Weichteileinblutungen, beidseitige Rippenfrakturen mit daraus resultierenden Anspießungen beider Lungenoberlappen und der Ausbildung eines Pneumothorax und Hämothorax. Ferner kam es zu einer Blutaspiration. Er erlag binnen weniger Minuten seinen Verletzungen. Todesursächlich war ein zentrales Regulations­versagen.

Das LG hat die Angeklagten wegen „Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge in Tateinheit mit unerlaubtem Sichverschaffen von Betäubungs­mitteln (Heroin)“ und wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Den nicht revidierenden Mitangeklagten T. hat es wegen „Beihilfe zum unerlaubten Sichverschaffen von Betäubungs­mitteln (Heroin) in Tateinheit mit Beihilfe zum Raub in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen“ verurteilt.

Aus den Gründen (Rn. 9–18)

Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Über­prüfung nicht stand, soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass die beiden Angeklagten mit bedingtem Tötungs­vorsatz handelten.

Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein. Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang lebens­gefährdenden Tuns darf dabei nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern muss tatsachen­basiert sein.

Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente durch tatsächliche Feststellungen zu belegen und im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände erfolgen, in die der Tatrichter auch die im Einzelfall in Betracht kommenden, den Vorsatz in Frage stellenden Umstände einzubeziehen hat. Zwar liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen regelmäßig nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen und fortgesetzt hat, einen solchen Erfolg in Kauf nimmt. Aber auch in einem solchen Fall ist das Tatgericht nicht von einer umfassenden Prüfung beider Elemente des bedingten Tötungs­vorsatzes und ihrer Darlegung entbunden. Insbesondere bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements ist es regelmäßig erforderlich, dass sich das Tatgericht auch mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in Betracht zieht.

Nach diesen Maßgaben ist die Feststellung eines bedingten Tötungs­vorsatzes nicht hinreichend begründet.

Das Landgericht hat eine an diesen Maßstäben orientierte Prüfung des bedingten Tötungs­vorsatzes nicht vorgenommen, sondern lediglich „aufgrund des Verletzungs­bildes des Geschädigten H. sowie der räumlichen und zeitlichen Umstände der Gewalt­anwendungen“ festgestellt, dass die beiden Angeklagten auch lebens­bedrohliche Gewalt gegen H. in ihren Tatplan aufgenommen haben. Ferner hat es – hiervon losgelöst – im Rahmen der Beweiswürdigung zum Verletzungs­bild des Getöteten ausgeführt, dass den Angeklagten bewusst gewesen sei, dass bei Tritten und heftigen Schlägen gegen sensible Körperregionen wie Hals und Oberkörper lebens­wichtige Organe und Blutgefäße verletzt werden und den Tod des H. zur Folge haben können. Hinzu trete dessen Knebelung und der Umstand, dass der Kopf des Getöteten mit einer Decke umwickelt worden sei, was die Atmung erschwert habe. In diesem Zustand hätten sie H. zurückgelassen, ohne dass alsbaldige Hilfe für ihn zu erwarten gewesen wäre. Umstände, die trotz dieser hochgradig lebens­gefährdenden Gewalt auf ein Hoffen der Angeklagten auf ein Über­leben des H. hinweisen würden, seien nicht gegeben, weshalb die Strafkammer davon überzeugt sei, dass sie dem Tod des H. zumindest gleichgültig gegenübergestanden hätten.

Damit lässt das Urteil bereits eine zusammenhängende Betrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände zu der Frage, ob einer der Angeklagten oder beide mit bedingtem Tötungs­vorsatz handelten, vermissen. Dieses Defizit setzt sich in der rechtlichen Würdigung des Landgerichts fort, indem es das Wissenselement des bedingten Tötungs­vorsatzes auf die Gefährlichkeit der Tathandlungen stützt, während es das voluntative Element – formelhaft in einem Satz – damit begründet, die Angeklagten hätten den Tod „gebilligt und in Kauf genommen“. Die landgerichtlichen Ausführungen erschöpfen sich mithin – und auch insoweit nur bei einer Gesamtschau der Urteilsgründe – in der Erwähnung einzelner Vorsatzelemente, ohne sich erkennbar des rechtlichen Maßstabes zu vergegenwärtigen und die erforderliche Gesamtbetrachtung vorzunehmen.

Zudem versäumt es das Landgericht, sich mit den vorhandenen vorsatzkritischen Elementen auseinanderzusetzen und diese in die erforderliche Gesamtabwägung einzustellen. Zwar geht die Strafkammer im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass massive Tritte gegen die hochsensiblen Bereiche des Kopfs und des Oberkörpers eines Opfers im Einzelfall, insbesondere wenn es am Boden liegt, lebens­bedrohlich sein können. Das Landgericht verkennt jedoch, dass es sich nach den getroffenen Feststellungen insoweit um eine Spontantat handelte, als sich der Entschluss der Angeklagten zur Intensivierung der geplanten Gewalt­anwendungen innerhalb eines dynamischen Geschehens aufgrund der nicht erwarteten Konfrontation mit dem Getöteten bildete. Bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aber aus der Kenntnis der Gefahr des möglichen Todeseintritts nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das selbstständig neben dem Wissenselement stehende voluntative Vorsatzelement ohne Weiteres gegeben ist.

Neben dem dynamischen Geschehen, in dem die Angeklagten sich entgegen ihrem ursprünglichen Plan einer Verteidigung H. s unter Verwendung eines Gummihammers erwehren mussten, wäre auch zu erörtern gewesen, ob sich ihr Verlangen nach Drogen, mit welchem das Landgericht den Hang im Rahmen der Unter­bringungs­anordnung begründet, für jeden Angeklagten isoliert betrachtet, vorsatzkritisch ausgewirkt haben kann. Ein einsichtiger Beweggrund, H. töten zu wollen, ist nicht festgestellt, was ebenfalls in eine Gesamtschau einzustellen gewesen wäre. Insbesondere kann eine Angst vor Entdeckung anhand der Urteilsgründe ausgeschlossen werden, da die Angeklagten hiernach innerhalb ihres ursprünglichen Tatplans eine gegen sie gerichtete Anzeige bei der Polizei ausschlossen, weil H. seinen Heroinhandel nicht gefährden wolle.

Hinweis des Gerichts (Rn. 23)

Zudem wird es abhängig vom Ergebnis der Beweisaufnahme in den Blick zu nehmen haben, dass der zur Verwirklichung des Raubtatbestandes erforderliche Finalzusammenhang zwischen Gewalt und erstrebter Wegnahme auch in Fällen gegeben sein kann, in denen der Einsatz des Nötigungs­mittels nicht gegen den Gewahrsamsinhaber, sondern einen Dritten erfolgt, wenn es sich bei dem Dritten nach den Vorstellungen des Täters um eine bezüglich des Gewahrsams schutz­bereite Person handelt. Sollte hiervon auszugehen sein, wird das neue Tatgericht ferner zu bedenken haben, dass es sich bei den Ein­wirkungen auf H. und R. jeweils um Ausführungs­handlungen des Raubes handelte, wodurch die gefährliche Körperverletzung und der Mord zur Tateinheit (§ 52 StGB) verbunden werden.

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