Sachverhalt:
Der Angeklagte, Facharzt für Allgemeinchirurgie, sterilisierte, im Rahmen einer Operation zur Behebung eines Leistenbruchs, den 17-jährigen P. Aufgrund einer Personenverwechselung ging er davon aus, den G zu operieren, bei dem zeitgleich zur Behandlung eines Leistenbruchs eine Sterilisation durchgeführt werden sollte. Als der Angeklagte unmittelbar nach dem Eingriff seinen Irrtum erkannte, legte er die Personenverwechselung noch am selben Tag der Mutter des P offen und vermittelte sie am Folgetag an einen Spezialisten für Refertilisation, welcher zwei Wochen später die Zeugungsfähigkeit des P durch eine Operation wiederherstellen konnte. Einige Wochen später nahm der Angeklagte die Sterilisation des einwilligungsfähigen G vor. Ein Sterilisationsbetreuer (§ 1899 Abs. 2 BGB a.F.) war nicht bestellt worden; die erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts (§ 1905 BGB a.F.) lag nicht vor.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung zum Nachteil des P in Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung zum Nachteil des G verurteilt. Der BGH hat den Schuldspruch wegen versuchter schwerer Körperverletzung aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückgewiesen.
Aus den Gründen:
Zwar ist das Landgericht rechtsfehlerfrei von einem beendeten Versuch einer schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB zum Nachteil des P ausgegangen. Jedoch hat es bei der Prüfung der Freiwilligkeit des Rücktritts einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt, indem es sich an dem Tatplan des Angeklagten und nicht am Tatbegriff des § 24 StGB orientiert hat.
Zur Nichtvollendung des § 226 StG: (Rz. 8, 9)
Die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen müssen von längerer Dauer sein. Diese „Langwierigkeit“ der schweren Folge ist Teil des tatbestandlichen Erfolges; fehlt es hieran, ist der Tatbestand nicht vollendet. Dabei ist die „Längere Dauer“ nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen, vielmehr genügt es, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des krankhaften Zustandes nicht abgesehen werden kann.
Zum Fehlschlag des Versuchs: (Rz.10–13)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist „Tat“ im Sinne
von § 24 Abs. 1 StGB die Tat im sachlich-rechtlichen Sinne, also die in den gesetzlichen Straftatbeständen umschriebene tatbestandsmäßige Handlung und der tatbestandsmäßige Erfolg. Ein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 StGB setzt daher nur ein Abstandnehmen von bzw. eine Verhinderung der Vollendung dieses gesetzlichen Tatbestands voraus. Die vorherige Erreichung außertatbestandlicher Ziele ist unschädlich. Die „Tat“ im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB ist mithin nicht die beabsichtigte Sterilisierung des konkreten Patienten, sondern allgemeiner die vom Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB umschriebene Zeugungsunfähigkeit einer Person. Diese „Tat“ war nicht fehlgeschlagen und sondern wäre, wenn der Angeklagte den Dingen seinen Lauf gelassen hätte, zum Nachteil des P zur Vollendung gelangt. Die Identität des Patienten betraf lediglich außertatbestandliche Motive des Angeklagten. […] Hiervon abweichende Stimmen in der Literatur, die im Falle des Bemerkens eines „error in persona“ durch den Täter stets einen Fehlschlag annehmen, verkennen den Tatbegriff im Sinne des § 24 StGB.
Zu den Anforderungen an die Rücktrittshandlung beim beendeten Versuch: (Rz.14, 15)
Es lag ein beendeter Versuch vor, weil der Angeklagte mit Durchtrennen der Samenleiter des P nach seiner Vorstellung bereits alles Erforderliche getan hatte, um dessen Zeugungsunfähigkeit herbeizuführen. Eine Rücktrittsperspektive ergab sich für den Angeklagten jedenfalls mit Erkennen des „error in persona“, weil hierdurch die erfolgte Sterilisation nachträglich unerwünscht wurde und der Angeklagte nun erstmals vor der Entscheidung stand, eine (dauerhafte) Zeugungsunfähigkeit des P durch aktive Gegenmaßnahmen zu verhindern bzw. sich ernsthaft zu bemühen oder den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen.
Der Angeklagte verhinderte die Vollendung des Delikts. Gleichwohl wäre ein Rücktritt vom beendeten Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts grundsätzlich auch dadurch möglich, dass der Täter das Eintreten der schweren Folge verhindert, nachdem er zunächst alles Erforderliche für den Erfolgseintritt getan hatte.
Zur Freiwilligkeit des Rücktritts vom Versuch: (Rz. 16–19)
Freiwillig ist der Rücktritt, wenn er nicht durch zwingende Hinderungsgründe veranlasst wird, sondern der eigenen autonomen Entscheidung des Täters entspringt, der Täter als „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist. Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage. Anders kann es sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde. Allein maßgeblich für die Bewertung ist der Rücktrittshorizont nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung.