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BGH, Beschl. v. 23.01.2024 – 6 StR 551/23: Tätige Reue § 239a IV 1

Sachverhalt (Rn. 1–3)

Der Angeklagte und der Mitangeklagte hielten den Zeugen R. über mehrere Stunden in einem Kellerraum fest. In dieser Zeit rief der Mitangeklagte die Mutter und die Großmutter des Opfers an und teilte ihnen jeweils mit, der Zeuge sei in ihrer Gewalt und sie würden ihm etwas antun, wenn die Verwandten nicht 5.000 Euro zahlten. Während dieser Telefonate schlug der Angeklagte auf das Opfer ein, um die Drohungen zu untermauern. Da die Mutter und die Großmutter des Opfers sich weigerten, Geld zu zahlen, erkannten die Angeklagten schließlich, dass sie mit ihren Forderungen gescheitert waren. Sie ließen es jedoch erst frei, als zwei unbekannt gebliebene Männer die Angeklagten aufforderten, das Opfer gehen zu lassen. Der Mitangeklagte ließ sich von dem Opfer zuvor noch die ratenweise Zahlung von 5.000 Euro zusagen. Dass sich der Angeklagte an dieser Forderung beteiligte, hat die Strafkammer nicht feststellen können.

Das LG hat den Angeklagten wegen schweren Wohnungs­einbruchdiebstahls mit Waffen sowie wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Die Strafkammer hat das Vorliegen tätiger Reue gemäß § 239a Abs. 4 S. 1 StGB verneint, weil der Angeklagte nicht „freiwillig“ von der Tat zurückgetreten sei. Das ist rechts­fehlerhaft.

Der Rechts­fehler führt zur Aufhebung der festgesetzten Strafe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des § 239a Abs. 4 S. 1 StGB zur Annahme eines minder schweren Falls im Sinne des § 239a Abs. 2 StGB oder einer Strafrahmenverschiebung und damit zu einer milderen Sanktion gelangt wäre.

Aus den Gründen (Rn. 4–5)

Tätige Reue im Sinne des § 239a Abs. 4 S. 1 StGB liegt schon dann vor, wenn der Täter das Opfer unter vollständigem Verzicht auf die erstrebte Leistung in seinen Lebens­bereich zurückgelangen lässt. Die Vorschrift setzt keine Freiwilligkeit voraus. Dies folgt aus ihrem Wortlaut und dem Gegenschluss zu anderen Regelungen (wie etwa § 306e sowie § 320 StGB), bei denen tätige Reue ein freiwilliges Handeln des Täters voraussetzt. Es kommt daher nicht darauf an, aus welchen Motiven der Täter handelt. Dass die Angeklagten – naheliegender Weise – auch in Anbetracht der Er­kenntnis fehlender Erfolgsaussicht vom Geschädigten abließen, steht der Annahme tätiger Reue mithin nicht entgegen.

Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen von § 239a Abs. 4 S. 1 StGB vor: So hat der Angeklagte vollständig und endgültig auf die Geldforderung verzichtet. Die Anwendung der Vorschrift scheidet auch nicht deshalb aus, weil der Mitangeklagte das Opfer nur gegen das Versprechen in die Freiheit entließ, 5.000 Euro ratenweise zu zahlen. Denn die Voraussetzungen des § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB sind für jeden Tatbeteiligten gesondert zu prüfen.

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