BGH, Beschl. v. 25.01.2024 – 3 StR 157/ 23: Zur gefährlichen Körperverletzung § 224 I Nr. 5 StGB
Leitsätze
- Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfordert nicht, dass das Opfer tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im konkreten Einzelfall. Um die gegenüber der „einfachen“ Körperverletzung höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Tathandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an. (Rn. 16)
- Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung sein, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können. Dies gilt selbst für Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf, sofern Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Opfer vorliegen, die das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung deutlich erhöhen. Insbesondere gilt dies für kräftige Fausthiebe gegen den Kopf, namentlich gegen die Schläfenregion. (Rn. 17)
Sachverhalt (Rn. 1–8)
1. Am frühen Morgen traf der Angeklagte in einer Gaststätte zufällig auf den späteren Geschädigten, gegen den er wegen einer körperlichen Auseinandersetzung einige Jahre zuvor, bei der er unterlegen war, Groll hegte. Nachdem es zu einer seitens des Angeklagten aggressionsgeladen geführten Unterhaltung beider gekommen war, verließ der Geschädigte mit zwei Begleitern das Lokal. Der Angeklagte folgte ihnen. Von Versuchen eines der Begleiter, ihn zu beschwichtigen und von einem körperlichen Übergriff abzuhalten, ließ sich der Angeklagte, der bedingt durch Alkohol-, Cannabis- und Kokainkonsum einhergehend mit einer Störung des Sozialverhaltens in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war, nicht beeindrucken. Als der Geschädigte die Örtlichkeit verließ, rannte er ihm hinterher und schlug ihm von hinten unvermittelt mit der Faust in die rechte Gesichtshälfte, wodurch das Opfer sofort zu Boden ging und dort verteidigungsunfähig liegen blieb. Sodann versetzte der Angeklagte, der Turnschuhe mit weicher Sohle trug, ihm einen von oben nach unten mit der Fußsohle geführten Tritt in die linke Gesichtshälfte. Der Geschädigte verlor hierdurch das Bewusstsein und erlitt mehrere Frakturen im Gesichtsbereich, darunter eine Jochbeinfraktur rechts, sowie eine Gehirnerschütterung und eine Rissquetschwunde am linken Oberlid. Er musste operiert und sieben Tage lang stationär in einem Krankenhaus behandelt werden.
Das Landgericht hat diese Tat als gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet.
2. In der Nacht feierten der Angeklagte und der Mitangeklagte gemeinsam mit weiteren Personen, unter anderem in einem Lokal. In den frühen Morgenstunden geriet der Mitangeklagte auf dem Heimweg in Streit mit einer Gruppe um den Nebenkläger. Es kam zu einer Rangelei, nach deren Beendigung der Mitangeklagte beschloss, den mit ihm befreundeten Angeklagten zur Unterstützung herbeizurufen. Dieser hatte zwischenzeitlich ebenfalls das Lokal verlassen. Auf den Ruf des Mitangeklagten eilte der Angeklagte, der erneut aufgrund Alkohol-, Cannabis- und Kokainkonsum einhergehend mit einer Störung des Sozialverhaltens in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war, sogleich schnellen Schrittes auf diesen und die Gruppe um den Nebenkläger zu. Er traf zunächst auf die Zeugin G. , die der Gruppe des Nebenklägers angehörte. Da sie in seinem Weg stand, stieß er sie grob zur Seite, wobei er Verletzungen des Opfers für möglich hielt und in Kauf nahm. Der Stoß traf die Zeugin am Kopf, wodurch sie Schmerzen im Gesicht und Kopfweh erlitt. Unmittelbar anschließend griff der Angeklagte den Nebenkläger an, obgleich weder dieser noch andere Personen zu dem Zeitpunkt auf den Mitangeklagten einwirkten. Der Angeklagte versetzte dem Nebenkläger einen derart wuchtigen Fausthieb in die rechte obere Gesichtshälfte, dass dieser sofort und auf der Stelle bewusstlos zusammenbrach. Sodann flohen der Angeklagte und der Mitangeklagte vom Tatort. Durch den Faustschlag erlitt der Nebenkläger mehrfache Knochenbrüche im Gesicht. Wegen der Befürchtung einer Hirnblutung wurde er intensivmedizinisch versorgt. Zudem musste er wiederholt operiert werden. Er trug Dauerschäden am rechten Auge davon, aufgrund derer er nicht mehr in der Lage ist, Abstände zutreffend einzuschätzen. Deshalb darf er in seinem Beruf als Straßenbauer keine Maschinen mehr bedienen. Zudem leidet er unter Taubheitsgefühlen in der rechten Gesichtshälfte.
Das Landgericht hat diese Tat als (vorsätzliche) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen gewertet.
Das LG hat den Angeklagten H. wegen gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen verurteilt.
Gegen das Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger mit ihren zu Ungunsten dieses Angeklagten eingelegten und auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen. Der Angeklagte erhebt mit seiner Revision gegen das Urteil die nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und dasjenige des Nebenklägers haben im Umfang ihrer Anfechtung weitgehend Erfolg. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.
Aus den Gründen (Rn. 15–18, 25–26)
1. § 224 I Nr. 5 StGB
Die Strafkammer hat im Fall. 2. hinsichtlich des wuchtigen Fausthiebes in die rechte obere Gesichtshälfte des Nebenklägers rechtsfehlerhaft lediglich eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen „einfacher“ (vorsätzlicher) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB angenommen. Wie die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers zutreffend rügen, hat das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht tragfähig verneint.
Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfordert nicht, dass das Opfer tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im konkreten Einzelfall. Um die gegenüber der „einfachen“ Körperverletzung höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Tathandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an. Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung sein, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können. Dies gilt selbst für Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf, sofern Um- stände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Opfer vorliegen, die das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung deutlich erhöhen. Insbesondere gilt dies für kräftige Fausthiebe gegen den Kopf, namentlich gegen die Schläfenregion.
Zwar hat die Strafkammer im Ausgangspunkt erkannt, dass Schläge mit der Faust gegen den Kopf im Einzelfall eine das Leben gefährdende Behandlung sein können. Zu Unrecht hat sie indes angenommen, die Beweisaufnahme habe hierfür keine Anhaltspunkte ergeben. Mit dieser Wertung hat das Landgericht das Ergebnis der Beweiserhebung nicht ausgeschöpft; in dieser Hinsicht ist die Würdigung der im Urteil dargelegten Beweisergebnisse lückenhaft. Die Urteilsgründe führen insofern lediglich an, zu einer zunächst befürchteten Hirnblutung beim Nebenkläger sei es nicht gekommen. Aus den Verletzungen lasse sich mithin ein erhöhtes Gefahrenpotential des Faustschlages nicht ableiten. Damit hat die Strafkammer den Blick zu Unrecht lediglich auf das Ausbleiben einer tatsächlich lebensbedrohlichen Hirnblutung gerichtet. Sie hat jedenfalls nicht hinreichend berücksichtigt, dass es für die rechtliche Einordnung einer Körperverletzungshandlung als eine das Leben gefährdende Behandlung nicht auf den eingetretenen Verletzungserfolg, sondern auf die grundsätzliche Geeignetheit der
Tathandlung ankommt, im konkreten Fall lebensbedrohliche Verletzungen des Opfers zu bewirken. Deshalb hätte die Strafkammer in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Nebenkläger aufgrund eines einzigen Fausthiebes in das Gesicht – und zwar zumindest in Nähe der rechten Schläfe – sogleich bewusstlos wurde und auf der Stelle zu Boden fiel. Dies deutet auf einen mit außergewöhnlich großer Kraft geführten Schlag hin. Ausweislich der Feststellungen der durch einen rechtsmedizinischen Sachverständigen beratenen Strafkammer kann ein derart wuchtiger Fausthieb ohne Weiteres Hirnblutungen und damit eine akut lebensbedrohliche Verletzung bewirken, weshalb das Tatopfer wegen der konkreten Befürchtung einer solchen Tatfolge, also wegen der Besorgnis akuter Lebensgefahr, zunächst intensivmedizinisch behandelt wurde. Die Strafkammer hat zudem die außerordentlich massiven weiteren Verletzungen des Nebenklägers nicht in den Blick genommen. Dieser erlitt durch den Faustschlag Brüche des Kiefers, des Jochbeins und des Nasenbeins. Er musste operiert werden, wobei ihm mehrere Metallplatten in den Kopf eingesetzt wurden. Über Monate konnte er keine feste Nahrung zu sich nehmen. Auch wenn diese schweren Verletzungen für sich genommen nicht lebensbedrohlich waren, so hätte doch ihre Indizwirkung für die Massivität der Einwirkung und damit deren generelle Eignung zur Lebensgefährdung berücksichtigt werden müssen. Hinzu kommt, dass der Nebenkläger aufgrund des Fausthiebes und der dadurch verursachten sofortigen Bewusstlosigkeit ungeschützt – nach einer Zeugenaussage „wie ein Baumstamm“ – zu Boden fiel und auf das Straßenpflaster aufschlug. Insofern wäre zu erwägen gewesen, ob das Tatgeschehen das Risiko in sich barg, dass der Nebenkläger sturzbedingt konkret lebensbedrohliche Verletzungen hätte erleiden können.
2. Schuldfähigkeit (Rn. 25 f.)
Im Ergebnis ist auch die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht zu beanstanden. Allerdings stößt auf Bedenken, dass die Strafkammer in den Feststellungen zu Fall 1. ausgeführt hat, der Angeklagte sei bei der Tat erheblich in seiner Fähigkeit eingeschränkt gewesen, „das Unrecht seiner Handlungen zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln“.
Entsprechendes gilt für die Formulierung in den Feststellungen zu Fall 2., wonach der Angeklagte bei dieser Tat „erheblich in seiner Fähigkeit eingeschränkt [war], seine Aggressionen zu kontrollieren und mithin das Unrecht seiner Handlungen zu erkennen und nach dieser Einsicht auch zu handeln“. Denn bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung ist zwischen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren, zumal eine eingeschränkte Unrechtseinsichtsfähigkeit nicht ohne Weiteres eine Verminderung der Schuldfähigkeit zur Folge hat, sondern bei gleichwohl vorhandener Unrechtseinsicht die Schuldfähigkeit nicht tangiert, aber bei nicht vorwerfbar fehlender Unrechtseinsicht zur Straflosigkeit führt. Indes lässt der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hinreichend erkennen, dass es sich bei den vorgenannten Ausführungen ebenso wie bei weiteren ähnlichen im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich um Formulierungsmängel handelt. Denn nach den Angaben des psychiatrischen Sachverständigen, die in den Urteilsgründen nachvollziehbar referiert werden und denen sich die Strafkammer vollumfänglich angeschlossen hat, war der Angeklagte bei beiden Taten aufgrund einer Mischintoxikation nach jeweils beträchtlichem Alkohol-, Cannabis- und Kokainkonsum einhergehend mit einer Störung des Sozialverhaltens in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Die Strafkammer hat in den Urteilsgründen dem Sachverständigen folgend die Bewertung vorgenommen, der Angeklagte sei aufgrund seiner Persönlichkeitsdefizite in Kombination mit einer Drogen- und Alkoholintoxikation nur eingeschränkt in der Lage gewesen, „die aus ihm herausbrechenden Aggressionsimpulse wirksam zu steuern oder zu unterdrücken“. Die Gesamtheit der Urteilsgründe lässt mithin die (noch) tragfähig begründete Feststellung einer bei den Taten jeweils erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit bei vorhandener Unrechtseinsicht erkennen.
Dagegen weist die Bemessung der Einzelstrafen in beiden urteilsgegenständlichen Fällen einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Denn die Strafkammer hat jeweils die besondere Brutalität der Tathandlungen schulderhöhend gewertet, ohne ausdrücklich zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bei beiden Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Zwar darf die Art der Tatausführung auch bei einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zu Lasten des Angeklagten gewertet werden, indes nur eingeschränkt nach dem Maß der geminderten Schuld. Dies hat die Strafkammer nicht bedacht. Auf dem Rechtsfehler beruhen die festgesetzten Einzelstrafen, die daher keinen Bestand haben, weshalb auch die Gesamtstrafe auf die Revision des Angeklagten aufzuheben ist. Denn es ist nicht sicher auszuschließen, dass die Strafkammer mildere Strafen verhängt hätte, wenn sie die Art der Tatausführung – wie geboten – nur nach dem Maß der geminderten Schuld zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hätte.