Sachverhalt (Rn. 3–6)
Der Angeklagte war als Berufskraftfahrer im Nahverkehr tätig. Dabei lieferte er mit einer Sattelzugmaschine Waren aus, wobei er einer vorgeschriebenen Fahrtroute zu folgen hatte. Nachdem er seine Arbeitsschicht um 06.09 Uhr begonnen und mehrere Kunden planmäßig angefahren hatte, war er spätestens ab 07.57 Uhr unkonzentriert, abgelenkt und nicht mehr auf das sichere Führen des Fahrzeugs „fokussiert“. Stattdessen befasste er sich gedanklich mit seinem eigenen Tod, ohne jedoch die Absicht zu haben, sich selbst zu töten. Zudem führte er eine Vielzahl von Telefonaten mit seiner Ehefrau. Weitere von ihm zu beliefernde Kunden fuhr er nicht mehr an. Schließlich verließ er die ihm vorgegebene Route und befuhr eine ihm gut bekannte Bundesstraße. Nachdem der Angeklagte zuvor relativ konstant mit einer Geschwindigkeit von 66 bis 68 km/
Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können und müssen, dass er aufgrund seiner fortbestehenden Unkonzentriertheit und der damit einhergehenden mangelnden Aufmerksamkeit nicht länger als Fahrer eines Fahrzeugs hätte am Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Die Kollision war für ihn vorhersehbar und vermeidbar.
Das LG hat dieses Verhalten als fahrlässige Tötung gemäß § 222 StGB gewertet. Eine Strafbarkeit wegen Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB und wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB hat das Landgericht verneint. Eine Absicht des Angeklagten, sich selbst zu töten, sei ebenso wenig festzustellen wie das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes dahingehend, dass der Angeklagte eine Kollision mit einem auf der Gegenfahrbahn entgegenkommenden Fahrzeug und den mit einer Kollision einhergehenden Tod eines Fahrzeuginsassen billigend in Kauf nahm. Ferner sei nicht festzustellen gewesen, dass der Angeklagte den von ihm gelenkten Sattelzug bewusst zweckwidrig als Waffe und zumindest mit bedingtem Schädigungsvorsatz einsetzte.
Die mit der Sachrüge begründete Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags erstrebt, hat Erfolg.
Aus den Gründen (Rn.7–17)
Der Angeklagte hat eine Selbsttötungsabsicht und einen damit einhergehenden bedingten Tötungsvorsatz bestritten. Das Landgericht hat Zweifel hinsichtlich einer bei Begehung der Tat bestehenden akuten Suizidalität und einer sich hieraus ergebenden Absicht des Angeklagten, sich durch die Fahrt mit seinem Sattelzug selbst zu töten, nicht zu überwinden vermocht. Dazu hat es die am Tattag vom Angeklagten an seine Ehefrau versandten Textnachrichten in den Blick genommen und etwaige Eheprobleme geprüft sowie Probleme im beruflichen Umfeld und im Bekanntenkreis erörtert. Es hat weder in der Erhöhung der Geschwindigkeit des Sattelzugs vor dem Unfall noch in dem Umstand, dass es keine verkehrsbedingte Notwendigkeit gab, nach links auf die Gegenfahrbahn zu lenken, Gesichtspunkte gesehen, die eine Absicht des Angeklagten, sich selbst zu töten und damit auch die Annahme, dass er den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf nahm, tragen könnten. Zudem hat es sich der psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, nach deren Ausführungen eine akute Suizidalität des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht festzustellen sei; auch die Textnachrichten an seine Ehefrau hätten keinen Appell bzw. keine Ankündigung eines Suizids enthalten, wie sie üblicherweise einer Durchführung vorausgingen. Auch psychische Probleme des Angeklagten am Tattag konnte die Sachverständige trotz seiner – am ehesten in ein psychotisches Erleben einzuordnenden – skurrilen Textnachrichten angesichts fehlender weiterer Anknüpfungstatsachen nicht diagnostizieren.
Diese Beweiswürdigung schöpft die rechtsfehlerfrei festgestellten objektiven Umstände nicht aus und ist daher lückenhaft.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Dabei hat es den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. In den schriftlichen Urteilsgründen muss es dies erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden. Bei alldem ist das Tatgericht – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist. Stützt sich das Tatgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf das Gutachten eines Sachverständigen, hat es daher dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind.
Danach wäre das Landgericht gehalten gewesen, das Verhalten des Angeklagten in den Stunden vor dem Tatgeschehen in den Blick zu nehmen und die von ihm ausgehenden Beweisanzeichen für eine bestehende Selbsttötungsabsicht zu erörtern.
So wurde der Angeklagte etwa zweieinhalb Stunden vor der Kollision von dem für ihn zuständigen Disponenten des Unternehmens angerufen, weil er Kunden auf seiner Auslieferungsroute nicht bedient hatte. Diesem gegenüber schilderte der Angeklagte, dass er sich „mental“ dazu nicht in der Lage gesehen habe, sich in der Firma gemobbt und verfolgt fühle und unter Verfolgungswahn leide. Etwa eineinhalb Stunden vor der Kollision forderte der Disponent den Angeklagten auf, umgehend auf das Betriebsgelände zurückzukehren, um die Situation gemeinsam besprechen zu können. Diesem Vorgehen stimmte der Angeklagte zwar zu, verließ aber die entsprechende Route und fuhr am Sitz des Unternehmens vorbei. In der Folgezeit war der Angeklagte für den Disponenten telefonisch nicht mehr erreichbar. Er fuhr am späteren Unfallort vorbei und wendete kurze Zeit darauf sein Fahrzeug. Dieses Verhalten bietet deutliche Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte in einem psychischen Ausnahmezustand befand, und war daher mit Blick auf die im Raum stehende Selbsttötungsabsicht erörterungspflichtig.
Die Würdigung des konkreten Fahrverhaltens des Angeklagten lässt ebenfalls gewichtige Teilaspekte außer Betracht und greift daher zu kurz.
Zwar hat das Landgericht in den Blick genommen, dass der Angeklagte den Sattelzug ungebremst auf die Gegenfahrbahn gelenkt hat. Es hat jedoch weder den „relativ großen Winkel“ berücksichtigt, mit dem der Angeklagte auf die Gegenfahrbahn fuhr, noch die von einer Zeugin geschilderte Fahrweise. Danach soll der Angeklagte seinen Sattelzug plötzlich nach links auf die Gegenfahrbahn gelenkt haben, nachdem er zuvor unauffällig gefahren sei. Zudem hat das Landgericht nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Angeklagte auch auf der Gegenfahrbahn bis zum Unfall keinerlei Reaktion zeigte (Bremsen; Lenkbewegung).
Soweit das Landgericht dabei in Betracht gezogen hat, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung des Angeklagten kurz vor dem Unfall auch durch Zeitdruck bedingt gewesen sein könnte, ist dies nicht belegt und findet in den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit keine Stütze. Der Hinweis auf die am Tattag insgesamt zu beliefernden acht Kunden vermag einen entsprechenden Zeitdruck schon deshalb nicht zu erklären, weil nach den Feststellungen der Angeklagte bereits zweieinhalb Stunden vor dem Unfall keine Kunden mehr bedient und im Anschluss hieran seine Lieferroute verlassen hatte.
Soweit die Strafkammer angenommen hat, die Textnachrichten des Angeklagten an seine Ehefrau enthielten keinen Hinweis auf eine Selbsttötungsabsicht, leiden die Urteilsgründe an einem Darstellungsmangel.
Die Strafkammer ist im Anschluss an die Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte insoweit lediglich mit dem eigenen Tod beschäftigt habe. Eine akute Suizidalität sei aber nicht festzustellen, weil hierzu „üblicherweise“ ein Appell bzw. eine Ankündigung gehöre. Eine nachvollziehbare Darstellung der Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen der Sachverständigen, die diese Annahme belegen könnten, fehlt. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist weder ersichtlich, worauf die Annahme der Sachverständigen von drei Stadien der Suizidalität (Einengung, Appell, Durchführung) beruht, noch ob sie Selbsttötungen auch ohne das Stadium eines Appells bzw. einer Ankündigung für möglich erachtet.
Ferner wird nicht mitgeteilt, woraus die Sachverständige geschlossen hat, dass die an die Ehefrau versandten Textnachrichten zwar „skurril“ seien und am ehesten auf ein psychotisches Erleben hindeuteten, aber keinen „Appell“ und keine Ankündigung eines Suizids enthielten. Allein aufgrund der mitgeteilten Nachrichten des Angeklagten, die durchaus Hinweise auf eine bevorstehende Selbsttötung enthalten („Bald ist es soweit ... und ich sehe meine Oma“ – „Trinke jetzt den Kaffee aus und werde dann sterben an Herzinfarkt. So wie es geplant war...“ – „... hat mir die Botschaft gegeben, wie der Euronics Chef gestorben ist, werde ich sterben“ – „Dann tue ich mir auch nix an...“ – „Falls ich nicht nach Hause komme, wurde ich entführt und es sieht dann nach Suizid aus!“) ist diese Bewertung nicht nachvollziehbar.